Zwischen zwei Welten: Hilfe zur Selbsthilfe


„Gemeinsam sind wir stärker, kleiner Freund. Ein Baum wächst nicht allein – seine Wurzeln umarmen die Erde und teilen sie mit anderen. So ist es auch bei uns.“


„Together we are stronger, little friend. A tree does not grow alone – its roots embrace the earth and share it with others. It’s the same with us.“


Ich sitze auf der Terrasse meines kleinen Hauses in Kathmandu. Die Sonne wärmt noch immer mit 24 Grad, doch ich weiß, dass die Temperaturen nach Sonnenuntergang auf sieben Grad fallen werden. Mein Blick schweift ab – nach Norddeutschland. Dort, zwischen minus eins und fünf Grad, leben die Menschen im Dauergrau des Winters. Keine Sonne, nur Wolken. Sie haben sich daran gewöhnt, so wie die Menschen hier an die alltägliche Sonne gewöhnt sind. Zwei Realitäten, die einander kaum begreifen können.

Doch die Unterschiede reichen tiefer. Während ich hier in der warmen Sonne sitze, erreichen mich beunruhigende Nachrichten aus Deutschland. Ein Antrag zur Verschärfung des Zuwanderungsrechts ist im Bundestag gescheitert. Ein Grund zur Erleichterung, doch die Sorge bleibt: Wie sehr rückt Deutschland nach rechts? Was wird aus den Parteien, die einst das Land zusammenhielten? Werden noch mehr Menschen ihren Ängsten folgen?

Angst oder Hoffnung?

Hier in Nepal spüre ich ebenfalls die Last der Ängste – nur in anderer Form. Menschen kämpfen täglich gegen die Unsicherheit, die der Klimawandel und eine ausbeuterische Weltwirtschaftsordnung mit sich bringen. Überschwemmungen, Erdrutsche und Wasserknappheit zerstören ganze Lebensgrundlagen. Hoffnung scheint oft nur ein ferner Traum zu sein.

Doch genau darum geht es: Hoffnung und Träume. Ein Satz aus dem Buch „The Boy, The Mole, The Fox, and The Horse“ hallt in mir nach: „Most of the old moles I know wish they had more followed their dreams and not their fears.“

Ist das nicht genau die Lektion, die wir alle lernen sollten – in Deutschland wie in Nepal? Sich von Ängsten lösen und an die eigenen Möglichkeiten glauben?

Hilfe zur Selbsthilfe

Hier in Nepal sehe ich, wie wichtig es ist, den Menschen nicht nur zu helfen, sondern sie in ihrem Potenzial zu bestärken. Es braucht keine Almosen und kein Mitleid. Vielmehr müssen sie dazu ermutigt werden, ihre Träume zu verfolgen. Zu oft erleben Kinder in NGO-Projekten genau das Gegenteil. Sie werden reduziert auf ihre Schwächen, auf das Stigma, aus einer „armen“ Familie zu stammen. Niemand erzählt ihnen von ihren Talenten. Statt Selbstbewusstsein lernen sie Abhängigkeit.

Ähnlich wie in Deutschland glauben viele hier, dass es nur ums Geld geht. Doch das ist ein Irrtum. Was die Menschen wirklich brauchen, ist Hilfe zur Selbsthilfe. Sie müssen träumen können – von einem besseren Leben, von einem Weg aus der Armut. Hoffnung ist eine mächtige Kraft, die Berge versetzen kann. Ich sehe das bei Yeshi und ihrer Familie jeden Tag.

Eine Brücke zwischen den Welten

Zwei Welten, zwei Realitäten – beide geprägt von Ängsten, aber auch von Träumen. Wir könnten so viel voneinander lernen, wenn wir es zuließen. Es braucht nicht viel, nur Offenheit und die Bereitschaft, die eigene Perspektive zu hinterfragen. Das wünsche ich mir – für die Menschen in Deutschland genauso wie für die Menschen hier in Nepal.

Vielleicht sind es ja genau die kleinen Träume, die die größten Veränderungen bewirken.

Stell dir vor, wie wir wären, wenn wir alle erkennen würden, dass wir gleich sind, miteinander verbunden und voneinander abhängig – eine Welt, eine Menschheit. Vielleicht gäbe es dann weniger Angst, weniger Spaltung und mehr Mitgefühl. Grenzen würden verschwinden, und statt Konkurrenz würde Zusammenarbeit unser Handeln bestimmen. Jede Entscheidung würde die Wahrheit ehren, dass niemand allein ist. Wäre das nicht die Welt, von der wir schon immer geträumt haben?