Nächtlicher Spaziergang von Chakrapath nach Italita

Eigentlich wusste ich heute Morgen nicht, warum ich ausgerechnet an diesem verregneten Tag meine Leica eingepackt hatte. Vielleicht eine Eingebung, vielleicht einfach Gewohnheit. Erst später wurde mir klar, wie sehr sich die nächtliche Stimmung auf den Straßen von Kathmandu nur durch die Linse eines lichtstarken Objektivs wirklich einfangen lässt.


Multitasking auf nepalesisch: reparieren, beobachten, entspannen – alles gleichzeitig, alles mit Stil.

Mein Weg führte mich von Chakrapath nach Italita, ein überschaubares Stück, aber voller Leben – oder besser gesagt: voller Geschichten. Im Erdgeschoss eines jeden Hauses reihte sich Geschäft an Geschäft. Der Gemüsehändler, der seine Tomaten kunstvoll aufbaut. Die kleine Apotheke, deren grün leuchtendes Kreuz beruhigend in die Nacht blinkt. Handyshops, ein Fotogeschäft mit eingerahmten Hochzeitsbildern im Schaufenster, Obststände, Reparaturbuden für alles zwischen Wasserkocher und Waschmaschine – und mittendrin eine halb auf dem Bürgersteig abgestellte alte Waschmaschine, deren rostiger Deckel fast wie ein stiller Wächter wirkt.


Improvisierte Werbung am Straßenrand: „Wasing Mesin – Induction Oven“ – eine alte Waschmaschine als stiller Hinweis auf ein Reparaturgeschäft, irgendwo zwischen Hoffnung und Handwerk.

Ein handgeschriebener Zettel daneben: „Wasing Mesin – Induction Oven – Call…“ – eine Einladung zum Geschäft, zu einem Gespräch, zu etwas ganz anderem. Die Improvisation wird hier nicht versteckt, sie ist Teil des Charmes. Und wenn die Straßenbeleuchtung schwächelt, springen die Leuchtreklamen ein. „LED TV“, in schief montierten Großbuchstaben – man fragt sich, was hinter dem Vorhang wohl noch alles leuchtet.

In einem der kleinen Läden hockt ein Mann hinter einem alten Fernsehgerät. Mit ruhiger Hand repariert er dessen Audio-Verstärker. Gelernt hat er sein Handwerk vor vielen Jahren in Indien. Die Platine liegt offen vor ihm, er arbeitet mit Lötkolben und einer riesigen Lupe – ganz ohne Schaltplan. Nur nach Gehör, nach Erfahrung, nach Gefühl. Wer kann das noch in Deutschland?


Feinmechanik ohne Schaltplan: Mit Lupe, Lötkolben und jahrzehntelanger Erfahrung bringt er den Ton zurück ins alte Fernsehgerät. Gelernt hat er sein Handwerk in Indien – geblieben ist die Leidenschaft.

Tagsüber wirkt dieser Weg oft chaotisch, bisweilen überfüllt. Aber in der Nacht, besonders im leichten Regen, entfaltet er eine ganz andere Dynamik. Das Licht bricht sich in den Pfützen, die Reflexe tanzen auf dem nassen Pflaster, Mopeds gleiten lautlos vorbei. Die Leica liebt solche Szenerien – das Spiel von Schatten und Neon, das Alltägliche, das plötzlich wie inszeniert wirkt.

Kathmandus Nacht lebt nicht vom Spektakel. Sie lebt vom Nebensächlichen, das im Dunkeln zu erzählen beginnt.


Night walk from Chakrapath to Italita

This morning I didn’t really know why I had packed my Leica on this rainy day of all days. Maybe an intuition, maybe just habit. It was only later that I realised how much the night-time atmosphere on the streets of Kathmandu can only really be captured through the lens of a fast lens.

My route took me from Chakrapath to Italita, a manageable distance, but full of life – or rather: full of stories. The ground floor of each house was lined with shop after shop. The greengrocer who skilfully arranges his tomatoes. The small pharmacy with its glowing green cross flashing reassuringly into the night. Mobile phone shops, a photo shop with framed wedding pictures in the window, fruit stands, repair stalls for everything between kettles and washing machines – and in the middle of it all, an old washing machine half parked on the pavement, its rusty lid almost like a silent sentinel.

A handwritten note next to it: „Wasing Mesin – Induction Oven – Call…“ – an invitation to do business, to a conversation, to something completely different. Improvisation is not hidden here, it is part of the charm. And when the street lighting fails, the neon signs step in. „LED TV“, in crooked capital letters – you wonder what else is shining behind the curtain.

In one of the small shops, a man crouches behind an old television set. He is repairing its audio amplifier with a steady hand. He learnt his trade many years ago in India. The circuit board lies open in front of him, he works with a soldering iron and a huge magnifying glass – without any circuit diagrams. Just by ear, by experience, by feel. Who else can do that in Germany?

During the day, this route often seems chaotic, sometimes overcrowded. But at night, especially in the light rain, it takes on a completely different dynamic. The light refracts in the puddles, the reflections dance on the wet pavement, mopeds glide silently past. The Leica loves scenery like this – the play of shadows and neon, the everyday that suddenly seems staged.

Kathmandu’s night does not thrive on spectacle. It thrives on the incidental, which begins to tell a story in the dark.