„Danke“ ist nicht immer Dankbarkeit – und „Sorry“ nicht immer Reue

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Was wir von der nepalesischen Kultur über Nähe, Worte und das Unsagbare lernen können

Ein Grillfest im Garten. Der Vater steht am Rost, die Tochter kommt mit dem Kuchen. Nach dem Essen sagt sie:

„Danke, dass du gegrillt hast.“

Der Vater winkt ab: „Ach was, das war doch selbstverständlich.“

Sie lächelt: „Trotzdem schön, dass du’s gemacht hast.“

Und meint es ernst.

So viel Freundlichkeit in so wenig Worten. Und doch: Irgendetwas an diesem Dialog irritiert.

War das „Danke“ zu viel? Oder zu wenig?

Vielleicht, weil ich mitten in einem Kulturwechsel stehe – ohne es zu merken.

In Nepal würde man in solchen Momenten schweigen

Dort bedankt man sich nicht für jede Kleinigkeit. Kein „Sorry“ bei einem harmlosen Zusammenstoß. Kein Lob für den wöchentlichen Puffer der Schwiegermutter – selbst wenn er mit Pfirsichen aus der Dose und Sahne serviert wird.

Worte sind selten – und genau deshalb kostbar.

Was uns als höflich erscheint, kann in Nepal wie Distanz wirken. Und Distanz stört das, worauf dort alles beruht: Beziehung.

Fremdheit zeigt sich oft in Worten. Nähe eher in ihrer Abwesenheit.

Nähe duldet keine Protokolle

In Nepal – wie in vielen asiatischen Kulturen – funktioniert Beziehung durch stilles Vertrauen.

Wer hilft, erwartet kein Lob. Wer gibt, keinen Dank. Wer verletzt, zeigt Reue – durch Handeln, nicht durch Worte.

Ein Beispiel:
Der Besucher bringt Geschenke. Seine Verwandten und Freunde nehmen sie ohne großes Aufhebens entgegen – kein Lächeln, kein Dank.
Der Besucher wartet. Vielleicht ist er irritiert, sogar verletzt.
Doch am nächsten Tag steht sein Lieblingsessen auf dem Tisch. Die Mutter räumt still ab. Fragt beiläufig, ob er Tee möchte.
Das ist ihr „Danke“. Nur anders.

Der Westen: Dank als Zeichen von Anerkennung

Wir Deutschen danken oft – für alles.

„Danke für den Kuchen!“
„Danke, dass du gekommen bist!“
„Danke, dass du den Müll rausgebracht hast!“

Jede Kleinigkeit wird kommentiert. Dahinter steht eine Haltung: Jeder ist für sich verantwortlich. Wer etwas für andere tut, leistet etwas Besonderes – also wird’s gewürdigt.

Deshalb bedankt sich auch die Tochter beim Vater fürs Grillen.
Und der Vater denkt: „Aber ich bin doch der Vater.“

Der Osten: Dank als Signal von Abstand

Ein Vater in Nepal grillt nicht – aber er trägt. Schweigend. Sichtbar. Verlässlich.
Eine Mutter kocht. Jeden Tag. Ohne ein Wort.

Man hilft einander, weil man zusammengehört – nicht, weil man etwas geleistet hat.

Ein Dank in solchen Momenten könnte beinahe als Beleidigung wirken.
Als wolle man klarstellen: Das war nicht selbstverständlich.
Aber genau das soll es sein.

Kinder lernen, was wir leben – nicht, was wir sagen

Kinder wachsen in Sprache auf – aber sie lernen durch Verhalten.

In Deutschland hören sie früh:
„Wie sagt man?“ – „Bitte.“ – „Danke.“

In Nepal beobachten sie:
Die Mutter sagt nichts – aber kocht.
Der Vater schweigt – aber trägt.
Die Großmutter redet nicht – aber reicht die Hand.

Respekt zeigt sich in der Geste, im Blick, in der Reihenfolge, wer zuerst isst oder wer das letzte Stück nimmt. Nicht im Tonfall.

Ein Kind, das in beiden Welten lebt, spürt den Widerspruch.
In der einen Kultur wird es für wortlose Loyalität geschätzt, in der anderen für klare Worte.

Es braucht Eltern, die ihm beibringen, beides zu erkennen – und zu übersetzen.

Interkulturelle Partnerschaft: Zwischen Zärtlichkeit und Übersetzung

Wenn zwei Menschen aus unterschiedlichen Kulturen zusammenleben, treffen auch zwei Sprachen des Herzens aufeinander.

Die eine Seite sagt „Danke“ – zärtlich, ernst gemeint.
Die andere Seite schweigt – und meint es genauso.

Was für den einen selbstverständlich ist („Ich muss das nicht aussprechen“), wirkt auf den anderen wie Schweigen.
„Warum sagst du nichts?“
„Weil du’s doch weißt.“

Ein westlicher Partner entschuldigt sich – um Konflikte zu lösen.
Ein nepalesischer Partner schweigt – und räumt still die Teetassen ab. Auch das ist eine Entschuldigung. Eine, die nicht sagt: „Es tut mir leid“, sondern: „Ich bleibe da.“

Solche Missverständnisse sind keine Fehler. Sie sind Alltag.
Und eine Einladung: zu fragen, zu beobachten, zu spüren.

Zwischen Zögern und Zugehörigkeit

Kürzlich beobachtete ich meinen nepalesischen Freund und buddhistischen Mönch – wir nennen ihn einfach „Norbu brother“. Er gehört zur Familie wie ein Bruder – und verhält sich auch so.

Während ich höflich frage, ob ich beim Kochen helfen kann, greift er ganz selbstverständlich zum Kartoffelschälmesser – und beginnt zu schälen.

Während ich überlege, ob ich mit dem kleinen Aayansh spazieren gehen darf, nimmt Norbu einfach den Kinderbuggy mit Schiebestange – und ist schon unterwegs.

Er muss nicht fragen. Er weiß, dass er darf. Und dass er soll. Weil Nähe in Nepal nicht über Worte läuft, sondern über Tun.

Manch einer mag mein Zögern anders deuten – als Unsicherheit oder gar Ablehnung. In Wahrheit will ich nur respektvoll sein.

Doch ich merke: Was in Deutschland höflich ist – zuerst zu fragen –, kann in Nepal wie Distanz wirken.

Ich erinnere mich an ein Erlebnis vor vielen Jahren: Ich wollte einer deutschen Freundin den Koffer abnehmen – und sie wies mich zurecht. Sie könne das sehr gut allein. Ich hatte helfen wollen – sie fühlte sich bevormundet.

So verschieden können Gesten gelesen werden. Und so wichtig ist es, den Kontext zu kennen.

Feingefühl heißt: Wissen, wann Worte fehlen – und wann sie stören

Nicht jede Situation verlangt nach Worten.

In manchen Momenten ist ein „Danke“ wie ein Lichtschalter: klar, nötig, hell.
In anderen ist es wie eine Neonröhre im Morgengrauen: zu grell, zu früh, zu viel.

Feingefühl heißt: zuhören, bevor man spricht.
Wahrnehmen, was zwischen den Zeilen geschieht.
Aushalten, dass nicht alles benannt werden muss – oder kann.

Ein Blick kann mehr bedeuten als zehn Dankesformeln.
Ein stilles Dableiben mehr als jede Entschuldigung.

Wenn Lob misstrauisch macht

Manchmal macht mich das ständige Loben und überschwängliche Danken hier in Deutschland misstrauisch – besonders, wenn es wie eingeübt klingt, wie ein Reflex, fast wie eine Pflichtübung.

Ein „Toll gemacht!“, ein „Super!“ – beiläufig hingeworfen. Als hätte man gelernt, dass jetzt ein Lob fällig ist. Nicht, weil es empfunden wird, sondern weil es erwartet wird.

Mir fehlt in solchen Momenten das Gewicht. Die Stille danach. Der Blick, der hängen bleibt. Die Geste, die bleibt, auch wenn das Lob längst verklungen ist.

Vielleicht liegt darin ein stiller Vorbehalt gegenüber jeder Sprache, die sich zu sehr verselbstständigt – die redet, ohne zu meinen.

Was bleibt: Vertrauen

Wer in zwei Kulturen lebt – oder zwischen ihnen –, muss übersetzen. Nicht nur Worte, sondern Haltungen.

In Deutschland danken wir, um Verbindung zu schaffen.
In Nepal schweigt man – aus demselben Grund.

Beides ist Ausdruck von Beziehung.
Aber beides funktioniert nur, wenn man erkennt, was dahinter steckt.

Ein nepalesischer Freund sagte einmal:
„Ist wirklich so viel Abstand zwischen uns, dass du mir danken musst?“

Dieser Satz traf – und erklärte alles.

Schlussgedanke

Wir leben in einer Welt, in der sich Kulturen überschneiden wie Stimmen in einem Chor.

Wer in diesem Chor mithört, statt nur mitzusingen, erkennt:
Dankbarkeit ist kein Satz.
Reue kein Wort.
Nähe kein Protokoll.

Manchmal ist das Schönste, was man sagen kann: nichts.
Und das Tiefste, was man zeigen kann: bleiben.



English version below


“Thank You” Isn’t Always Gratitude – and “Sorry” Isn’t Always Regret

What Nepali culture can teach us about closeness, language, and the unspeakable

A barbecue in the garden. The father is at the grill, the daughter brings out the cake. After the meal, she says:

“Thanks for doing the grilling.”

The father waves it off: “Oh, come on. That was a given.”

She smiles: “Still nice that you did it.”

And she means it.

So much kindness in so few words. And yet something feels… off.
Was that “thank you” too much? Or too little?

Maybe because I’m in the middle of a cultural shift – without even noticing.

In Nepal, moments like this pass in silence

People there don’t say thank you for every little gesture. No “sorry” after a minor bump. No exaggerated praise for the weekly dessert – even if it’s topped with canned peaches and whipped cream.

Words are rare – and precisely because of that, they’re precious.

What we see as polite might be perceived as distant in Nepal. And distance interferes with what relationships there are built on: quiet closeness.

Often, it’s words that signal unfamiliarity. And silence that signals trust.

Closeness doesn’t follow protocol

In Nepal – as in many Asian cultures – relationships are grounded in unspoken trust.

You help without expecting praise. You give without expecting thanks. And if you’ve hurt someone, you show remorse through your actions, not your words.

Take this example:
A guest brings gifts. Relatives and friends accept them without ceremony – no smile, no thank you.
The guest waits. Maybe he’s puzzled, even a little hurt.
But the next day, his favorite meal appears on the table. The mother clears the dishes without a word. She quietly asks if he’d like tea.
That’s her way of saying thank you – just not in words.

In the West: gratitude as recognition

We Germans thank each other constantly:

“Thanks for the cake!”
“Thanks for coming!”
“Thanks for taking the trash out!”

Every small act is acknowledged. The underlying belief: each person is responsible for themselves. When someone goes out of their way, it deserves recognition.

That’s why the daughter thanks her father for grilling.
And the father thinks: “But I’m the dad. Of course I did it.”

In the East: gratitude can create distance

A father in Nepal might not grill – but he carries. Quietly. Reliably. Without making a fuss.
A mother cooks. Every day. Without comment.

You help each other because you belong together – not because you’ve done something exceptional.

A “thank you” might almost feel insulting – as if to say: “I wasn’t expecting this.”
But the point is: you should have been.

Children imitate what we do – not what we say

Children grow up with language – but they learn through behavior.

In Germany, they hear:
“What do you say?” – “Please.” – “Thank you.”

In Nepal, they observe:
The mother says nothing – but cooks.
The father is quiet – but carries.
The grandmother is silent – but offers her hand.

Respect is shown through gestures, eye contact, or letting someone else eat first. Not through tone of voice.

Children who grow up between these cultures sense the contradiction.
One rewards quiet loyalty, the other expects clear words.

They need parents who can help them read both worlds – and translate.

Intercultural partnership: between tenderness and translation

When two people from different cultures live together, two emotional languages meet.

One says “thank you” – softly, sincerely.
The other stays silent – just as sincerely.

What one sees as natural (“I don’t need to say it”), the other sees as aloof.
“Why don’t you say anything?”
“Because you already know.”

A Western partner apologizes – to resolve conflict.
A Nepali partner stays quiet – and quietly clears the teacups. That too is an apology. One that says not “I’m sorry” – but “I’m still here.”

These misunderstandings aren’t mistakes. They’re part of life.
And they’re invitations – to ask, to notice, to feel.

Between hesitation and belonging

Not long ago, I watched my Nepali friend – a Buddhist monk we call “Norbu brother.” He’s part of the family, like a true brother – and he acts like it.

While I politely ask if I can help in the kitchen, he simply grabs the peeler and starts working on the potatoes.

While I hesitate to ask whether I can take little Aayansh for a walk, Norbu just picks up the stroller – one of those push-trikes with a canopy – and heads out the door.

He doesn’t ask. He knows he can – and should. Because in Nepal, closeness is not expressed through permission, but through action.

Some might misread my hesitation – as unease, or even disapproval. But really, I just want to be polite.

Still, I see it clearly now: what’s polite in Germany – asking first – can feel like distance in Nepal.

Years ago, I tried to carry a suitcase for a German friend. She snapped back: “I can carry that myself.” I had meant to be kind. She felt patronized.

That moment taught me: gestures mean different things in different places. Context is everything.

Sensitivity means knowing when words help – and when they hurt

Not every moment calls for words.

Sometimes, a “thank you” is like a light switch: clear, needed, bright.
Other times, it’s a neon bulb at dawn: too much, too soon.

Sensitivity means listening before you speak.
Picking up what isn’t said.
And accepting that not everything needs to be named – or can be.

A look can say more than ten “thank you”s.
Quiet presence can say more than any apology.

When praise breeds doubt

Sometimes, I find myself wary of all the constant praise and over-the-top thank-yous here in Germany – especially when they sound rehearsed, like a reflex, more habit than heartfelt.

A quick “Well done!” or “Awesome!” tossed out like punctuation. Not because it’s felt – but because the moment demands it.

What I miss is the weight. The pause afterward. The look that lingers. The gesture that remains, even after the praise has faded.

Perhaps this reveals a quiet distrust of any language that starts speaking on autopilot – that talks, without meaning to say something.

What remains: trust

Living between cultures means translating – not just language, but mindset.

In Germany, we say thank you to build connection.
In Nepal, silence does the same job.

Both are expressions of relationship.
Both only work if you know what’s behind them.

A Nepali friend once said:
“Is there really such distance between us that you have to thank me?”

That line struck me – and explained everything.

Final thought

We live in a world where cultures overlap like voices in a choir.

Those who listen instead of just singing along will recognize:
Gratitude isn’t a phrase.
Regret isn’t a word.
Closeness isn’t a script.

Sometimes, the most meaningful thing you can say – is nothing.
And the deepest thing you can show – is that you stayed.