Blick über Hamburg: Geschichte, Kultur und Vielfalt vereint
Ich liebe Geschichten, besonders jene aus fernen Kulturen. Ob „Bullerbü“ oder „Tausendundeine Nacht“, die Bibel oder andere Erzählungen – sie alle haben ihren eigenen Zauber, weil sie etwas über uns und unsere Träume verraten. Sie bleiben so lange schön und harmlos, wie wir nicht glauben, sie seien wahr.
Viele dieser wunderbaren Geschichten werden in Hamburg erzählt, einer Stadt voller kultureller Vielfalt. Besonders gerne bin ich im Schanzenviertel und dessen Umgebung unterwegs. So auch gestern.
Unser Auto parken wir im Karolinenviertel, wo der Duft von geröstetem Kaffee in der Luft liegt. Hier reihen sich Kindertagesstätten, Werbeagenturen, Film- und Ton-Studios, Galerien, Tim Mälzers „Bullerei“, die Ratsherrn Brauerei und „La Torre“, ein riesiger Shop für portugiesische Spezialitäten, dicht aneinander. Das Viertel grenzt direkt an das Schanzenviertel. Unser Weg führt uns durch die Sternstraße, vorbei an „Erikas Eck“, einer Eckkneipe, die fast rund um die Uhr die größten Schnitzel Hamburgs serviert. Nichts für mich, aber dennoch irgendwie cool. Kurz vor „Erikas Eck“ fällt mir ein Teller an der Wand auf, auf dem „Liebe ist ein Tuwort“ steht. Wie wahr.
Am Ende der Sternstraße stehen die begehrten Terrassenhäuser. Diese Altbauten haben kleine Vorgärten, die die Bewohner zu Terrassen umfunktioniert haben. Hier wird geplaudert, getrunken, gegessen, geraucht und freundlich gegrüßt, auch wenn die vielen Schaulustigen den Bewohnern sicher manchmal auf die Nerven gehen. Auch ich musste die Häuser aus der Nähe sehen: die bunten Fliesen und Bänke in den Vorgärten, die Stufen und Eingangstüren, die Schilder, Vogelhäuschen, Fahnen und alten, klapprigen Fahrräder. Eine Bewohnerin grüßt mich mit strahlendem Lächeln gleich zweimal – einmal beim Kommen und einmal beim Gehen. In diesem kunterbunten Chaos fühle ich mich sofort wohl.
Die Sternstraße endet am Neuen Kamp, beziehungsweise an der Feldstraße. Von dort aus blickt man direkt auf den Grünen Bunker, einen ehemaligen Flakbunker. Der massive Betonklotz wirkt auf mich immer noch bedrohlich, trotz der grünen Bäume und Sträucher, die ihn umgeben.
Wir betreten das Gelände durch eine Eingangsschleuse. Später erfahre ich, dass diese so konstruiert ist, dass maximal 900 Personen den Bunker gleichzeitig besuchen können – aus Sicherheitsgründen. Eine Rampe schlängelt sich an der Außenwand des Bunkers in die Höhe. Die Anzahl der Stufen habe ich nicht gezählt. Ich weiß nur, dass der Bunker ursprünglich 38 Meter hoch war und dass auf seinem Dach eine Pyramide mit fünf Etagen und einer Höhe von 20 Metern errichtet wurde. In diesen fünf Etagen befinden sich ein Hotel, einige Cafés und Restaurants, eine Mehrzweckhalle für 2.200 Besucher und bald auch ein Museum. Dieses Museum soll an die Zeit erinnern, als Zwangsarbeiter diesen und einen etwas kleineren Flakbunker in der Nähe errichteten. Das war 1942, als fast alle Deutschen noch an die Geschichte vom großen deutschen Volk und den anderen Rassen, die sie bedrohten und die es zu vernichten galt, glaubten. Dabei war es nur eine Geschichte, die zusammenhalten sollte, was nicht zusammengehörte, und an die einige Träumer in unserem Land und anderswo immer noch glauben.
Während wir den Bunker und die Pyramide auf seinem Dach gemächlich umrunden, genießen wir den Ausblick über die Stadt: die Messehallen, den Fernsehturm, den historischen Wasserturm, in dem heute das Mövenpick-Hotel untergebracht ist. Die vielen Kirchtürme und anderen Zinnen fallen ins Auge. Die Elbphilharmonie, die unzähligen Kräne im Hafen, davor das Millerntor-Stadion des FC St. Pauli, wo gerade diverse Amateure trainieren. Ein Banner mit „Voran FC St. Pauli Amateure“ soll die jungen Fußballer motivieren. Unter uns breitet sich das riesige Heilig-Geist-Feld mit dem Dom, der Hamburger Kirmes, aus. Dreimal im Jahr findet sie hier statt. Unglaublich, wie viele Schausteller mit ihren riesigen mobilen Häusern, Schleppern und LKWs im Hintergrund der Fahrgeschäfte und Buden campieren. Unglaublich auch, was sich die Leute antun, die die riesigen Katapulte und Kettenkarussells besteigen, nur um den Kick ihres Lebens zu bekommen.
Oben angekommen, ruhen wir uns in einem Dachgarten aus und genießen die Aussicht bei einer kalten Apfelschorle und einem Wasser.
Auf unserem Abstieg werfen wir noch einmal einen Blick in die verschiedenen Restaurants und Cafés und verschaffen uns einen Eindruck von dem hoffentlich bald entstehenden Bunker-Museum. Überall sind noch Bauarbeiter und teilweise aufgebrochener Beton zu sehen, der uns einen Eindruck davon vermittelt, mit welchen Mitteln man vor 80 Jahren die Bevölkerung vor der Rache derer zu bewahren hoffte, über die man zuvor so viel Leid gebracht hatte.
Auf dem Rückweg schauen wir noch kurz im portugiesischen Lebensmittelgeschäft vorbei, kaufen ein paar Leckereien ein, essen schließlich in meinem indischen Lieblings-Imbiss und freuen uns über die kulturelle Vielfalt in Hamburg, wo jeder seine eigene Geschichte erzählt – von Liebe und Vielfalt, Fußball und riesigen Schnitzeln.