Die grauen Männer des Alltags: Wenn der Glanz des Lebens verblasst

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In einer Welt, die von Hektik und materiellen Zielen beherrscht wird, begegnen wir ihnen immer wieder: den grauen Männern, die wie in Michael Endes Momo den Menschen die Zeit und das Leben rauben. Doch nicht jeder erkennt sie, wenn er morgens in den Spiegel blickt. Eine Begegnung am Pool erinnert daran, wie wichtig es ist, sich nicht im Streben nach Wohlstand zu verlieren, sondern das Leuchten im Alltag zu suchen und es mit anderen zu teilen.

Samstagmorgen, 10 Uhr. Inzwischen trocknet meine Wäsche der letzten Tage auf der Terrasse, während ich an einem weißen Tisch am Rande des Swimmingpools meines Hotels sitze und Kaffee, frisches Obst und Müsli genieße.

Ein Mann, schwer zu schätzen – vielleicht 50, 60, sogar 70 Jahre alt – verlässt die Terrasse seines Hotelzimmers. Groß, mit Halbglatze und einem Dreitagebart, der sein Gesicht markant erscheinen lässt. Die Brille ins Haar hochgesteckt. In einem grauen Sweatshirt und einer dunkelgrauen Hose schreitet er langsam den Weg entlang, vorbei am Pool, dessen Wasser im milden Morgenlicht glitzert. Bequeme Schuhe tragen ihn, doch sein Gang wirkt schwer, als wäre jede Bewegung eine Anstrengung. Der Blick bleibt auf seine Füße gerichtet, die Mundwinkel zeigen nach unten. Eine unsichtbare Last scheint auf ihm zu liegen.

Als er den Frühstücksbereich betritt, höre ich, wie der Sohn des Hoteleigentümer ihn freundlich, fast schon überschwänglich begrüßt: „How are you, my friend?“ Der Mann hebt den Kopf, als müsse er sich aus tiefen Gedanken losreißen. Ein kurzes Lächeln zuckt um seine Lippen, erreicht jedoch nicht seine Augen. „Good, thank you,“ antwortet er leise, bevor er den Blick wieder senkt. Die Worte klingen routiniert, fast mechanisch, wie ein Automatismus, der keinen Raum für echtes Gefühl lässt.

Kurze Zeit später sehe ich ihn wieder, wie er vorbei am Pool und den besetzten Tischen schlendert. Sein Blick streift die Menschen flüchtig, senkt sich aber sofort wieder. Kein Gruß, kein „Schöner Tag“. Als ich später zu meinem Zimmer zurückkehre, sitzt er auf seiner Terrasse, den Blick starr auf den Pool gerichtet. Vielleicht verbringt er ein paar Urlaubstage mit seiner Frau in dieser luxuriösen Idylle. Doch was nützt all der Luxus, wenn er die Menschen nicht glücklich macht?

Ich hoffe nur, dass sein Äußeres nicht sein Inneres widerspiegelt. Andernfalls würde er mir leid tun. Dann wäre er genau das Role-Model, das ich niemals werden möchte, auch wenn ich wahrscheinlich bereits älter bin als er.

Ich kenne viele Menschen, die ihr Leben gelebt haben, die sich für einen Hauch materiellen Wohlstands ein Leben lang körperlich und geistig geopfert haben und nun nichts mehr erwarten. Keine Ziele mehr, keine Gespräche über Vorhaben oder Träume. Nur noch kleine, graue Schritte, die nirgendwohin führen.

Ich möchte niemals so werden: mit grauem Gesicht, herunterhängenden Mundwinkeln und gesenktem Blick. Ich will nicht einfach nur mein Erspartes verprassen und konsumieren. Ich möchte mich auch im Alter über Menschen freuen, die meine Nähe suchen, die ein Gespräch mit mir führen wollen. Ich möchte nicht allein zu Hause sitzen, auf einen Anruf oder den wöchentlichen Besuch der Putzfrau warten und grimmig Freunde und Verwandte abweisen. Das würde mich nicht glücklich machen; es würde mich diesem Role-Model, das mir heute Morgen beim Frühstück begegnete, ein Stück näherbringen. Nein, was ich habe, hat mir das Leben geschenkt – all das Leid, aber vor allem auch die Freude, trotz allem.

There is always a better future, you just should not stop searching for it. In diesem Sinne begebe ich mich oft alleine auf die Suche nach den schönen Dingen – mit meiner Kamera in der Hand, um Momente festzuhalten, die das Licht inmitten des Alltags erstrahlen lassen. Denn es sind diese kleinen Augenblicke, die uns daran erinnern, dass das Leben, trotz aller Widrigkeiten, voller Wunder und Hoffnung sein kann. Aber tausend Mal schöner ist es, wenn man die Welt zusammen mit jemandem erkundet, der ähnlich hoffnungsvoll denkt.


The grey men of everyday life: when the glamour of life fades

In a world dominated by hustle and bustle and material goals, we encounter them time and again: the grey men who, like in Michael Ende’s Momo, rob people of their time and their lives. But not everyone recognises them when they look in the mirror in the morning. An encounter by the pool reminds us how important it is not to lose ourselves in the pursuit of prosperity, but to look for the light in everyday life and share it with others.

Saturday morning, 10 o’clock. Meanwhile, my laundry from the last few days is drying on the terrace while I sit at a white table at the edge of my hotel’s swimming pool, enjoying coffee, fresh fruit and muesli.

A man, hard to estimate – maybe 50, 60, even 70 years old – leaves the terrace of his hotel room. Tall, half bald and with a three-day beard that gives his face a striking appearance. His glasses are pinned up in his hair. Wearing a grey sweatshirt and dark grey trousers, he walks slowly along the path, past the pool, its water glistening in the mild morning light. He is wearing comfortable shoes, but his gait seems heavy, as if every movement is an effort. His gaze remains fixed on his feet, the corners of his mouth turn downwards. An invisible weight seems to be weighing him down.

As he enters the breakfast area, I hear the hotel owner’s son greet him in a friendly, almost exuberant manner: ‘How are you, my friend?’ The man raises his head as if he has to tear himself away from deep thought. A brief smile twitches around his lips, but does not reach his eyes. ‘Good, thank you,’ he replies quietly before lowering his gaze again. The words sound routine, almost mechanical, like an automatism that leaves no room for real emotion.

A short time later, I see him again as he strolls past the pool and the occupied tables. His gaze glances at the people, but then immediately drops again. No greeting, no ‘Have a nice day’. When I return to my room later, he is sitting on his terrace, his gaze fixed on the pool. Perhaps he is spending a few days‘ holiday with his wife in this luxurious idyll. But what’s the point of all this luxury if it doesn’t make people happy?

I just hope that his exterior doesn’t reflect his interior. Otherwise I would feel sorry for him. Then he would be exactly the role model I never want to become, even though I’m probably already older than him.

I know many people who have lived their lives, who have sacrificed themselves physically and mentally for a hint of material prosperity and now expect nothing more. No more goals, no more conversations about plans or dreams. Just small, grey steps that lead nowhere.

I never want to be like that: with a grey face, the corners of my mouth hanging down and my eyes downcast. I don’t just want to squander and consume my savings. Even in old age, I want to enjoy people who want to be close to me, who want to have a conversation with me. I don’t want to sit at home alone, waiting for a phone call or the cleaning lady’s weekly visit and grimly turning away friends and relatives. That wouldn’t make me happy; it would bring me a little closer to that role model I met at breakfast this morning. No, life has given me what I have – all the suffering, but above all the joy, despite everything.

There is always a better future, you just should not stop searching for it. With this in mind, I often go off on my own in search of the beautiful things – with my camera in hand, to capture moments that let the light shine in the midst of everyday life. Because it is these little moments that remind us that life, despite all adversity, can be full of wonder and hope. But it’s a thousand times nicer to explore the world together with someone who feels similarly hopeful.