Die Schaukel – Vom Hoch, vom Tief und vom Gegengefühl
In meinem letzten Beitrag „Die Suche nach Glück – und warum sie uns ins Tief zieht“ habe ich die Opponent-Prozess-Theorie beschrieben: Auf jedes Hoch folgt ein Gegengefühl, das uns zurückholt. Euphorie schwindet, Schuld bleibt.
In den Gesprächen, die ich seither geführt habe, taucht in mir immer wieder ein Bild auf: die Schaukel.
Der a-Prozess stößt sie an: Sie schwingt nach vorne – Freude, Lust, Begeisterung. Der b-Prozess holt sie zurück – Müdigkeit, Ernüchterung, Schuld.
Doch ebenso kann das Schwingen im Tief beginnen: Trauer, Schmerz, Angst. Und dann setzt das Gegengefühl ein – Erleichterung, Trost, manchmal sogar stille Freude. Auch das gehört zur Bewegung.
Normalerweise pendelt die Schaukel vorhersehbar hin und her.
Doch was geschieht, wenn am Ende des Rückschwungs ein Trauma sitzt? Dann wirkt es wie eine unsichtbare Hand, die die Schaukel härter zurückstößt, als es die Bewegung allein je vermocht hätte. Das Gegengefühl wird übersteigert: die Trauer tiefer, die Schuld drängender, die Erleichterung flüchtiger.
So entsteht eine paradoxe Erfahrung: Wir beginnen nicht nur das Tief zu fürchten, sondern auch das Hoch. Wir meiden Freude, weil wir schon ahnen, wie schmerzhaft die Rückkehr sein wird. Wir halten uns von Nähe fern, weil wir das Echo der alten Verletzung fürchten.
In Partnerschaften sehe ich zwei Schaukeln. Zunächst schwingen sie unabhängig, später finden sie oft einen gemeinsamen Rhythmus. Und: Es ist völlig normal, dass sich eine Beziehung mit der Zeit verändert – die anfängliche Euphorie lässt nach, sie reift zu etwas anderem. Das ist kein Defekt, sondern erwartbar. Doch wenn eine der beiden Schaukeln jedes Mal heftig zurückschlägt, weil alte Verletzungen sie antreiben, wird die gemeinsame Bewegung schwieriger. Vertrauen und Geduld werden entscheidend. Denn nicht jeder Rückstoß gehört zum Heute – viele sind Echos von Damals.
Mir ging es in meinem ursprünglichen Beitrag vor allem um Selbstverständnis.
Auch hier gilt: Wir müssen lernen, unsere Schaukel zu akzeptieren. Zu wissen, dass sie nicht stillsteht. Dass ein harter Rückschlag kein persönliches Versagen ist, sondern oft das Werk alter Kräfte.
Dann können wir auch das Hinschwingen wieder zulassen – ins Hoch wie ins Tief. Wir dürfen Freude erleben, ohne sie sofort mit Schuld zu verknüpfen. Wir dürfen Trauer fühlen, ohne die Hoffnung auf ihr Gegengefühl zu verlieren.
„Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“ bedeutet in diesem Licht:
Halte dich aus, wenn die Schaukel hart zurückkommt. Habe Geduld mit dir. Denn nur, wer sich selbst halten kann, kann auch für andere da sein.
English version below
The Swing – On Highs, Lows, and the Counter-Feeling
In my previous post, “The Pursuit of Happiness – and Why It Pulls Us Down”, I outlined Opponent-Process Theory: every high elicits a counter-feeling that brings us back. Euphoria fades; guilt lingers.
Since then, conversations with friends have kept returning me to a single image: the swing.
The a-process gives it the first push: forward we go—joy, desire, exhilaration. The b-process draws it back—fatigue, sobriety, remorse.
But the motion can just as well begin in a low: grief, pain, fear. Then the counter-feeling sets in—relief, comfort, sometimes even a quiet kind of joy. That, too, is part of the movement.
Ordinarily, the swing’s arc is predictable.
But what if a trauma sits at the end of the backswing? It acts like an invisible hand, kicking the swing farther than the motion itself would allow. The counter-feeling overshoots: grief deepens, guilt presses harder, relief becomes more fragile.
This creates a paradox: we start fearing not only the low but also the high. We avoid joy because we already anticipate the painful return. We hold back from closeness because we fear the echo of old wounds.
In relationships I picture two swings. At first they move independently; with time they often find a shared rhythm. And yes: it is entirely normal for a relationship to change—the initial rush subsides and matures into something else. That is not a defect; it is expected. Yet if one swing keeps snapping back—driven by earlier injuries—the shared motion becomes harder. Then trust and patience matter most. Not every recoil belongs to the present; many are echoes of the past.
My original post aimed above all at self-understanding.
Here, too, the task is to accept our swing. To know it won’t stand still. To see that a hard return is not a personal failure but often the work of older forces.
That is how we can allow the forward motion again—toward highs and toward lows. We can welcome joy without immediately tying it to guilt. We can feel grief without abandoning the hope of a counter-feeling.
In this light, “Love your neighbor as yourself” means:
Stay with yourself when the swing comes back hard. Be patient with yourself. Only those who can hold themselves can truly hold others.