Dopamin, Neugier und das große Vergessen – Warum ich in Nepal bin 

1. Einleitung: Ich bin ein Dopamin-Junky 

Ich bin ein Dopamin-Junky. Das meine ich ernst. 

Kaum öffne ich die Augen, sucht mein Gehirn den ersten Impuls – nicht nach Kaffee, sondern nach Bedeutung. Nach Motivation. Nach dem Gefühl, etwas zu tun, das sich lohnt. 

Dopamin, oft missverstanden, ist kein Glücksstoff. Es ist der Stoff des Wollens, nicht des Habens. Es treibt uns an, Neues zu entdecken, zu lernen, zu erschaffen. Es motiviert Forscherinnen wie Künstler, Kinder wie Philosophen. 

Doch in einer Welt voller Reize wird dieses System überfordert – und ausgetrickst. Soziale Medien wie TikTok oder Instagram liefern ununterbrochen kleine, unvorhersehbare Belohnungen. Sie geben uns winzige Dopamin-Kicks, die süchtig machen – nicht medizinisch, aber im Verhalten. Wir lernen, zu konsumieren, statt zu erschaffen. Und das hat Folgen. 

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2. Der Preis der Reizüberflutung: Verlust an Kreativität und Nähe 

Was früher selbstverständlich war – Malen, Schreiben, Musizieren, Spielen mit Freunden – verschwindet. Stattdessen flimmern abends Fernsehshows, während stumm durch Feeds gescrollt wird. Die Lust am Spiel? Verloren. Die Neugier? Eingeschläfert. Die Energie, selbst etwas zu gestalten? Verpufft im Dauerrauschen der Reize. 

Dieser Verlust ist überall spürbar. In Europa wie in Asien. In Deutschland wie hier in Nepal. Und das macht mir Angst. Denn mit dem Schwinden der Kreativität verlieren wir nicht nur eine kulturelle Dimension. Wir verlieren auch das, was Beziehungen lebendig hält: Aufmerksamkeit, Interesse, Gegenwärtigkeit. 

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3. Exkurs: Bildung in Nepal – Eine offene Wunde 

Diese Erkenntnis wird für mich greifbar, seit ich in Nepal bin. 

Bis 1951 war Bildung hier ein Privileg. Die Rana-Dynastie unterdrückte das Volk systematisch. Lesen und Schreiben blieben einer kleinen Elite vorbehalten. Als das Regime endete, konnten weniger als ein Prozent der Bevölkerung lesen. Erst mit dem demokratischen Aufbruch begann der mühsame Aufbau eines Bildungssystems. 

Heute liegt die Alphabetisierungsrate über 65 %, doch die Kluft zwischen Stadt und Land, Arm und Reich bleibt groß. Viele Kinder müssen früh arbeiten. Mädchen brechen die Schule oft ab. Und wer lernt, erlebt meist Frontalunterricht, Prüfungsdruck und Auswendiglernen – nicht kreatives, forschendes Denken. 

Trotzdem spüre ich hier einen Hunger nach Bildung. Einen Respekt vor dem Lernen. Eine Energie, die in Europa oft fehlt. 

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4. Begegnungen, die bleiben: Der Poetry-Slam in Kathmandu 

Vor ein paar Tagen war ich bei einem Poetry-Slam in Kathmandu. Dort wurde mir klar, was Bildung bewirken kann. 

Ein älterer Autor, Verfasser mehrerer Bücher, sprach mit einer Präsenz, die mehr sagte als Worte. Junge Dichter:innen trugen Texte vor – mutig, laut, verletzlich. Sie sprachen über Identität, Ungerechtigkeit, Liebe, Schmerz und Hoffnung. Ihre Worte waren roh, ehrlich, erschütternd. Nicht für Likes gemacht, sondern für Resonanz. 

In ihren Gesichtern sah ich dieselbe Sehnsucht, die mich hierher geführt hat: die Sehnsucht nach Tiefe. Nach echter Aufmerksamkeit. Nach einem Ort, an dem das Denken zählt. 

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5. Persönlicher wird’s nicht: Was das mit mir macht 

Diese Abende lassen mich nicht los. Sie machen mich hoffnungsvoll – und traurig zugleich. Hoffnungsfroh, weil ich sehe, dass junge Menschen sich dem kulturellen Abstumpfen widersetzen. Traurig, weil ich zu Hause dieselben Mechanismen erkenne: das Verstummen. Das Verlieren im digitalen Rauschen. Die Abkehr vom kreativen Ausdruck. 

Ich habe erlebt, wie Menschen, die früher Geschichten schrieben, malten, sangen oder spielten, irgendwann aufhörten. Wie ihre Schöpferkraft erst nachließ, dann verstummte – ersetzt durch Trash-TV, endloses Scrollen und das ungesprochene Gefühl: Ich hab keine Lust mehr. 

Das ist kein Vorwurf. Es ist ein Schmerz. 

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6. Blick über Nepal hinaus: Ein globales Phänomen 

Was hier geschieht, ist kein nepalesisches Problem. Auch kein europäisches. Es ist global. In den USA wird Bildung politisiert und ausgehöhlt, in autoritären Staaten gezielt unterdrückt. Selbst in Demokratien verkommen Schulen zu Testfabriken, junge Menschen zu Klickmaschinen. 

Doch echte Bildung ist mehr als Wissen. Sie ist Widerstandskraft. Sie ist Menschwerdung. Sie lehrt uns, Fragen zu stellen – und uns selbst zu begegnen. 

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7. Und deshalb bin ich hier 

Viele schütteln den Kopf über meine Reise nach Nepal. Fünf Monate! Was sucht man da? 

Ich suche Verbindung. Ich suche Stille. Ich suche Bedeutung. Ich suche Menschen, die fragen, statt zu wischen. Die schreiben, statt zu scrollen. Die zuhören, statt zu urteilen. 

Denn ich glaube: Wenn wir das Fragen verlernen, verlernen wir das Menschsein. 

Wenn wir das kreative Tun verlernen, verlernen wir das Fühlen. 

Und wenn wir das Gespräch verlernen, verlernen wir die Liebe. 

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Vielleicht bin ich deshalb hier. 

Weil ich wieder glauben will. 

An Sprache. 

An Kunst. 

An Menschen.

An das Lernen. 

Und vielleicht ist dieser Glaube der stärkste Dopamin-Kick von allen.


Dopamine, curiosity and the great forgetting – Why I’m in Nepal

1. Introduction: I am a dopamine junky

I am a dopamine junky. I mean that seriously.
As soon as I open my eyes, my brain searches for the first stimulus – not for coffee, but for meaning. For motivation. For the feeling of doing something worthwhile.

Dopamine, often misunderstood, is not a happy substance. It is the substance of wanting, not of having. It drives us to discover new things, to learn, to create. It motivates researchers and artists, children and philosophers.

But in a world full of stimuli, this system is overwhelmed – and tricked. Social media such as TikTok or Instagram constantly deliver small, unpredictable rewards. They give us tiny dopamine kicks that are addictive – not medically, but behaviourally. We learn to consume instead of create. And that has consequences.


2. The price of sensory overload: loss of creativity and closeness

What used to be taken for granted – painting, writing, making music, playing with friends – is disappearing. Instead, TV shows flicker on in the evening while we scroll silently through feeds. The desire to play? Lost. Curiosity? Put to sleep. The energy to create something yourself? Fizzled out in the constant noise of stimuli.

This loss can be felt everywhere. In Europe as in Asia. In Germany as well as here in Nepal. And that scares me. Because with the dwindling of creativity, we are not only losing a cultural dimension. We are also losing what keeps relationships alive: Attention, interest, presence.


3. Excursus: Education in Nepal – an open wound

This realisation has become tangible for me since I have been in Nepal.

Until 1951, education was a privilege here. The Rana dynasty systematically suppressed the people. Reading and writing remained the preserve of a small elite. When the regime ended, less than one per cent of the population could read. It was only with the democratic awakening that the arduous development of an education system began.

Today, the literacy rate is over 65 per cent, but the gap between urban and rural areas, rich and poor remains wide. Many children have to work at an early age. Girls often drop out of school. And those who do learn usually experience frontal teaching, exam pressure and memorisation – not creative, exploratory thinking.

Nevertheless, I sense a hunger for education here. A respect for learning. An energy that is often lacking in Europe.


4. Encounters that stay with you: The poetry slam in Kathmandu

A few days ago, I attended a poetry slam in Kathmandu. There I realised what education can achieve.

An elderly author, author of several books, spoke with a presence that said more than words. Young poets recited texts – courageous, loud, vulnerable. They spoke about identity, injustice, love, pain and hope. Their words were raw, honest, harrowing. Not made for likes, but for resonance.

In their faces, I saw the same longing that brought me here: the longing for depth. For real attention. For a place where thinking counts.


5. It doesn’t get any more personal than this: what it does to me

I can’t let go of these evenings. They make me hopeful – and sad at the same time. Hopeful, because I see that young people are resisting cultural blunting. Sad, because I recognise the same mechanisms at home: silencing. Getting lost in the digital noise. The turning away from creative expression.

I have seen how people who used to write stories, paint, sing or play stopped at some point. How their creative energy first waned, then fell silent – replaced by trash TV, endless scrolling and the unspoken feeling: I don’t feel like it anymore.

That’s not an accusation. It’s a pain.


6. Looking beyond Nepal: a global phenomenon

What is happening here is not a Nepalese problem. Nor is it a European problem. It is global. In the USA, education is politicised and undermined, in authoritarian states it is deliberately suppressed. Even in democracies, schools are degenerating into test factories, young people into click machines.

But real education is more than just knowledge. It is resilience. It is humanisation. It teaches us to ask questions – and to face ourselves.


7. And that’s why I’m here

Many people shake their heads about my trip to Nepal. Five months! What are you looking for?

I’m looking for connection. I’m looking for silence. I’m looking for meaning. I’m looking for people who ask questions instead of swiping. Who write instead of scrolling. Who listen instead of judging.

Because I believe that if we unlearn to ask questions, we unlearn to be human.
If we unlearn how to be creative, we unlearn how to feel.
And if we unlearn how to talk, we unlearn how to love.


Maybe that’s why I’m here.
Because I want to believe again.In language.
In art.
In people.
In learning.

And perhaps this belief is the strongest dopamine kick of all.