Ein stiller Eid, geteilt und lebendig

Read this post in English ↓

„Jeder Aufbruch ist ein stiller Eid an mich selbst.“

Kein lautes Gelöbnis, sondern ein leises Versprechen: mir treu zu bleiben, meine Kräfte ernst zu nehmen, das Leben bewusst zu gestalten. Jede Reise trägt dieses Versprechen in sich.

Am Samstagmorgen belade ich mein E-Bike. Zwei schwere Taschen hängen an den Seiten. Die Luft ist frisch, 22 Grad, angenehm kühl nach den heißen Tagen zuvor. Der erste Tritt in die Pedale ist zögerlich, dann finde ich den Rhythmus. Hinter Kaltenkirchen tauchen Hügel auf, kleine Täler öffnen sich. Die Anstrengung spüre ich – und juble wie ein Kind, wenn es bergab geht.

Nach 75 Kilometern erreiche ich Reinfeld. Dort treffe ich eine ehemalige Kollegin. Wir reden zwei, drei Stunden. Eine wohltuende Pause – und ein Beweis, dass Aufbrüche Begegnungen schaffen.

Am Abend fahre ich weiter Richtung Travemünde. Die Luft wird kühler, der Fahrtwind kriecht unter die Jacke. Am Hafen warte ich frierend, bis kurz vor Mitternacht endlich auch die Radfahrer an Bord dürfen. In der Kabine falle ich sofort in Schlaf.

Am nächsten Morgen stehe ich früh an der Reling. Über mir blauer Himmel, unter mir das Meer. Plötzlich steigen mir Tränen auf. Ich bin überwältigt: von der Entscheidung, mich auf den Weg gemacht zu haben, vom Durchhalten, vom Treu-Bleiben zu meinem Eid. Dieses Glück fühlt sich anders an, tiefer, weil es erarbeitet ist. Ein Ziel, das man erradelt, wiegt mehr als eines, das man bequem im Auto oder Zug erreicht.

In Malmö erwarten mich perfekte Fahrradwege. Nach neunzig Minuten erreiche ich Lund. Meine Tochter lebt in einem Dorf wie aus Bullerbü, in einem alten Bauernhaus mit zwei Mitbewohnern. Sofort spüre ich: Hier ist ein Ort, der ihr gehört.

Wir verbringen drei Tage miteinander – besuchen die Universität, fahren nach Lomma an den Strand, fotografieren, spielen abends „The Mind“ und „Hive“, trinken Tee, knabbern Nüsse. Glück, geteilt und leicht.

Die Rückfahrt fordert mich mehr. Der Wind bläst von Westen, genau aus der Richtung, in die ich muss. Jeder Kilometer kostet Kraft. Doch gerade dieser Widerstand schenkt Tiefe. Ich merke, wie sehr ich Herausforderungen brauche, um wach zu bleiben. Ich spüre, dass ich mir vertrauen kann – und dass ich selbst für mein Glück verantwortlich bin, nicht für das der anderen.

Das gilt auch für meine Beziehung. Ich habe verstanden: Unsere Nähe lebt, wenn wir unser Glück teilen, statt zu erwarten, dass der andere uns glücklich macht. Es ist nicht die Aufgabe meiner Partnerin, mich glücklich zu machen – genauso wenig, wie es meine Aufgabe ist, ihr Glück zu garantieren. Aber wir können es einander schenken, indem wir unser Eigenes leben und teilen.

Vielleicht ist es genau das, was der „stille Eid“ meint: das Versprechen, mir selbst treu zu bleiben, ohne andere in Geiselhaft zu nehmen. Und vielleicht bedeutet Ruhestand nichts anderes, als weiter solche Eide einzugehen – bewusst, aktiv, immer wieder neu.

Ich habe zudem erfahren, wie hilfreich es ist, meine Unternehmungen am Abend mit einer vorab gestellten Frage Revue passieren zu lassen. Für diese Schweden-Fahrrad-Reise lautete sie: Was sagt mir die Reise über mich? Dies ist meine Antwort: „Jeder Aufbruch ist ein stiller Eid an mich selbst.“ – „Ich bin für mein Glück selbst verantwortlich und nicht für das Glück der anderen.“ – „Beziehungen blühen auf, wenn wir sie nicht als Lieferanten unseres Glücks sehen, sondern als Raum, in dem zwei Menschen ihr eigenes Glück miteinander teilen.“


English version below


A Quiet Vow, Shared and Alive

“Every departure is a quiet vow to myself.”

Not a loud pledge, but a gentle promise: to stay true to myself, to take my strength seriously, to live deliberately. Every journey carries this vow within it.

On Saturday morning I load my e-bike. Two heavy bags hang from the sides. The air is fresh, 22°C, pleasantly cool after the heat of the previous days. My first pedal stroke is hesitant, but soon I find the rhythm. Hills rise behind Kaltenkirchen, small valleys open up. I feel the effort—and cheer like a child when the road slopes down again.

After 75 kilometers I reach Reinfeld. I meet a former colleague, and we talk for two or three hours. A welcome pause—and proof that departures create encounters.

In the evening I ride on toward Travemünde. The air cools, the wind slips under my jacket. At the harbor I wait, shivering, until shortly before midnight the cyclists are finally allowed on board. In my cabin I fall asleep instantly.

The next morning I stand early at the railing. Blue sky above me, the sea below. Suddenly tears well up. I am overwhelmed: by the decision to set out, by my perseverance, by staying true to my vow. This happiness feels different, deeper, because it is earned. A destination reached by bike weighs more than one reached easily by car or train.

In Malmö, perfect bike paths await me. Ninety minutes later I arrive in Lund. My daughter lives in a village straight out of Bullerby, in an old farmhouse with two housemates. I feel at once: this is her place, a space that belongs to her.

We spend three days together—visiting the university, cycling to Lomma beach, taking photos, playing “The Mind” and “Hive” in the evenings, drinking tea, snacking on nuts. Happiness, light and shared.

The return journey is harder. The wind blows from the west—exactly the direction I must go. Every kilometer costs energy. Yet it is this resistance that gives depth. I realize how much I need challenges to stay awake to life. I feel I can trust myself—and that I alone am responsible for my happiness, not for that of others.

This also applies to my relationship. I have understood: our closeness thrives when we share our happiness, instead of expecting the other to make us happy. It is not my partner’s task to make me happy—just as it is not my task to guarantee her happiness. But we can give it to each other by living our own lives fully, and sharing them.

Perhaps that is what the “quiet vow” truly means: the promise to remain true to myself, without holding others hostage. And perhaps retirement means nothing else than continuing to make such vows—consciously, actively, again and again.

I have also found it helpful to end each day by revisiting my undertakings with a guiding question. For this cycling trip to Sweden the question was: What does this journey tell me about myself? My answer is this: “Every departure is a quiet vow to myself.” – “I am responsible for my own happiness, not for the happiness of others.” – “Relationships flourish when we stop seeing them as suppliers of our happiness, and instead as spaces where two people share their own happiness with each other.”