Emotionen im Sturm: Fotografie an der Küste
Alles ist relativ, so auch das Wetter. Im Vergleich zum behaglichen Klima in den eigenen vier Wänden erscheint das Wetter draußen oft zu heiß, zu kalt, zu stürmisch oder zu nass – und nur selten als angenehm, wie zuhause. Doch sobald ich mit der Kamera vor die Tür trete und die frische Luft tief einatme, wird fast jedes Wetter zu einem Erlebnis.
Mittwochmittag. Das Wetter ist „durchwachsen“. Der Wind dreht von Süd auf West und bringt starke Böen mit sich. Um 12:40 Uhr treibt die Sonne unsere PV-Anlage zur Höchstleistung: 8,5 kW. Zehn Minuten später verstaue ich die Kameras und das Fernglas im Kofferraum, setze mich ins Auto und in dem Moment, in dem ich die Tür schließen will, zieht ein Wolkenbruch über unser Haus. Also, Tür zu und auf in Richtung Norden. Aquaplaning auf der Autobahn. Sichtweite unter zehn Metern. Puh, nichts passiert. Kurz vor dem Nord-Ostsee-Kanal bricht die Wolkendecke auf – blauer Himmel. Wieder einmal scheint die weltweit meistbefahrene Wasserstraße eine Wetterscheide zu sein. Mein Ziel ist die Meldorfer Bucht – wie so oft.
Ich stelle mir vor, wie ich ganz alleine stundenlang in einer Beobachtungshütte am Kronenloch im Speicherkoog sitze und die Vögel beobachte. Und tatsächlich bin ich für einige Zeit alleine und vermisse die zahlreichen Seeschwalben und ihre puscheligen Jungen. Sie sind alle ausgeflogen, nur ein Lachmöwen-Junges sitzt noch alleine auf einer der beiden künstlichen Inseln und hofft auf Nahrung von den Eltern. Aber die kommen nur gelegentlich vorbei, Junges und Elternvogel schreien sich an und der Elternvogel fliegt wieder fort. Empathie mit dem Jungvogel? Die macht ihn auch nicht selbständiger.
Ich beobachte die unzähligen Haubentaucher, Schellenten, Blässhühner und Kormorane. Eine Frau betritt die Beobachtungshütte und nach kurzer Zeit fragt sie, um welche Art es sich bei den Tauchern mit roten Augen und gold-gelben Streifen hinter den Augen handelt. Ich erkläre ihr, dass ich das auch nicht wüsste, suche aber verzweifelt nach besagten Tauchern, sehe sie nicht und erkläre weiter, dass ich eigentlich nur hier sitze, um mich zu entspannen. Sie entschuldigt sich, sie wolle mich nicht vollsabbeln. So hatte ich es auch nicht gemeint. Sie dachte nur, dass meine teure Kameraausrüstung ein Zeichen für einen erfahrenen Ornithologen sei. Ich enttäusche sie, lasse Kamera und Fernglas für einen Moment unbeaufsichtigt und hole aus dem Auto ein Vogel-Bestimmungsbuch. Gebe es der Dame und wenig später erklärt sie mir glücklich, dass es sich um Schwarzhalstaucher handele. Ja, die Bezeichnung hatte ich auch schon mal gehört. Als die Dame nach einer halben Stunde wieder geht, setze ich mich auf ihren Platz und fokussiere meine Kamera auf eine Gruppe von Tauchern, die sie wahrscheinlich gemeint hatte. Die Tiere sind weit weg. Zuhause vergrößere ich die Aufnahmen und lasse sie von einer App identifizieren. Schwarzhalstaucher – ganz klar: rote Augen, gold-gelbe Streifen.
Nach einer Stunde verlasse ich den Unterstand und fahre weiter zum Deich. Ein rauer Wind bläst mir ein breites Grinsen ins Gesicht. Zum Glück bin ich weitestgehend winddicht angezogen. Ich gehe über den Elpersbütteler Deich bis zur Mole, auf der oft Schwärme unterschiedlichster Arten rasten und auf die Ebbe warten, denn dann finden sie im Watt reichlich Nahrung. Der Wind peitscht das Meerwasser gegen das Land. Der Weg entlang der Uferkante ist nass. Zwei Schwimmer trauen sich kurz in das aufgewühlte Wasser. Ein alter Mann auf einem Fahrrad (ohne E-Motor) kämpft sich durch den Wind. Die Begegnung mit den Elementen genieße ich.
Auf der Mole sitzen tatsächlich viele Vögel, in erster Linie Silbermöwen, Kormorane und Steinwälzer, aber auch zwei Eiderenten. Der Wind bläst so stark, dass ich die Kamera nur schwer ruhig halten kann. Meistens fokussiere ich irgendeinen Vogel an und drücke den Auslöser für eine Serienaufnahme. Insgesamt werden es heute Nachmittag über 550 Bilder. Einige davon sind wunderschön, besonders solche, die die kleinen Vögel in dieser rauen Natur zeigen. Spritzendes Wasser, hohe Wellen, rohe Felsblöcke. Ich bewundere die Vögel, wie sie scheinbar das Naturschauspiel genießen, ja selbst Teil dieses wahnsinnig starken Schauspiels werden. Rückwärts fliegende Steinwälzer muss man einmal gesehen haben. Scheinbar haben sie Spaß daran.
Mit der Kamera im Anschlag und mit der richtigen Kleidung wird selbst das „mieseste“ Wetter in Schleswig-Holstein zu einem einmaligen Erlebnis. Ich freue mich auf den Herbst.