Geheimnisvolle Orte: Unterwegs zu den Relikten des Kalten Krieges
Heute fahren meine Gedanken Achterbahn. Zu viele Ereignisse in den letzten zwei Tagen, die mich beschäftigen. Ich muss raus. In Komoot finde ich in Kellinghusen mehrere Wanderwege, die rund um ehemalige US-amerikanische Atom-Raketenbunker führen – betonierte Zeugen des Kalten Krieges.
Auf dem Weg dorthin fahre ich durch Steinburg und entdecke auf einer Straßenlaterne einen Storch, der sich in aller Ruhe putzt und sich auch nicht von mir und meiner Kamera stören lässt. Ein skurriler Anblick, der mich zum Schmunzeln bringt.
Das Navi führt mich nach Rosdorf. Dort parke ich mein Auto am Wegrand in der Nähe des Restaurants Waidmannsruh. Aus dem reetgedeckten, grün-weiß gestrichenen Haus gegenüber tritt eine ältere Frau auf die Straße. „Wir öffnen von Donnerstag bis Sonntag. Es kommen nicht mehr so viele Leute wie damals“, antwortet sie auf meine Frage, ob das Restaurant noch betrieben wird.
Ich folge dem Plattenweg durch den Wald, der von Ahorn, Eichen, Weißdorn, Fichten und Rotbuchen gesäumt ist. Spätblühende Traubenkirschen reihen sich ebenfalls ein – eine Art, die ich bisher nicht kannte und die ich mithilfe meiner Pflanzenbestimmungs-App identifiziere. Unterwegs rette ich einige Waldmistkäfer mit ihren schwarz und grün schimmernden Panzern aus ihrer misslichen Rückenlage. Manch einer hat sein Leben bereits unter einem Autoreifen verloren.
Nach einer Dreiviertelstunde erreiche ich eine frisch gemähte Wiese. Der Bauer hat wohlweislich das giftige Jakobskreuzkraut vor dem Schnitt entfernt und auf den Weg geworfen. Einmal im Heu würde das Vieh die Giftpflanze fressen.
Auf der frisch gemähten Wiese erheben sich neun oder zehn halbrunde Bunker. Auf ihnen wachsen bereits Bäume und Sträucher. Ein Weg führt um diese riesige Anlage des Schreckens. Vermutlich lagerten in den drei größten Bunkern die unheilvollen Raketen und die atomaren Sprengköpfe. Ich weiß es nicht und will es im Detail auch gar nicht wissen. Graffiti-Sprayer haben die Betonmauern auf ihre Art verziert. Auf einem Bild schreit sich eine Frau vor lauter Entsetzen die Lunge aus dem Leib. Daneben hat ein anderer Sprayer die SpongeBob-Figur seiner „Birtchen“ gewidmet. In einem anderen Bunker macht sich Popeye gerade bereit für neue Abenteuer. Ich stehe vor einem der offenen Bunker und gebe einen lauten Schnalzlaut von mir, der von den glatten Wänden im Innern des Bunkers widerhallt. An zwei Stellen ragen Ein- bzw. Ausstiegsluken unterirdischer Anlagen aus der Wiese. Überall blühen Lupinen, Kräuter namens Hain-Augentrost und rote Heide.
Auf dem Rückweg fotografiere ich noch den geschlossenen Schlagbaum, völlig verrostet. Davor zwei Beton-Sockel. Ich kann nur spekulieren, welchen Zweck sie einst hatten und ob sie mit der Bunkeranlage zusammenhängen. An einer Stelle ragen kleine, holzverschalte Häuser in die Höhe. Das Dorf erinnert mich irgendwie an das Popeye-Filmdorf auf Malta. Ein Mensch mit geschickten Händen hat aus einem Baumstamm zwei Wildschweine geschnitzt, wahrscheinlich mit einer Kettensäge. Daneben der Rohling einer Vogelskulptur, wahrscheinlich ein angehender Adler.
Eine Bunkeranlage würde ich nicht unbedingt zu meinen „Bright Places“ zählen. Zu düster die Geschichte. Dafür bekam ich aber den Kopf frei und habe den Spaziergang durch den Wald sehr genossen.