Heute in Kathmandu: Kunst voller Zeichen

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Zum ersten Mal habe ich heute eine Kunstausstellung in Kathmandu besucht – im Nepal Art Council. Ein kleiner, feiner Ort, versteckt im Großstadtgetümmel, und doch offen für die weiten Horizonte der Kunst. Um Punkt 15 Uhr betraten wir als Erste die Ausstellung – fast so, als würde sich das Erlebte exklusiv für uns entfalten.

Gezeigt wurden Werke der südkoreanischen Künstlerin LEE BO SUK, die unter dem Titel „Character Symbol Abstract – World with Stories“ ihre ganz eigene Welt aus Symbolen und Zeichen entwirft. Und der Titel ist Programm. Ihre Bilder sind übervoll mit Zeichen – dem koreanischen Alphabet, der lateinischen Schrift, dazwischen Wörter, Buchstaben, die sich zu Bildlandschaften verweben.

Doch da bleibt es nicht bei Sprache. Zwischen diesen Textfragmenten wuchern Formen aus der Natur: Pflanzen, knorrige Bäume, stilisierte Berge – als wollten die Zeichen selbst zur Landschaft werden, oder als sei die Welt eine einzige große Schrift.

Das erinnert stark an den Philosophen Ernst Cassirer, der den Menschen als animal symbolicum – als „symbolisches Tier“ – beschrieb. Nicht nur durch Werkzeuge und Sprache unterscheidet sich der Mensch vom Tier, sondern vor allem durch seine Fähigkeit, Symbole zu schaffen – und in ihnen zu leben.

LEE BO SUKs Werke wirken wie eine bildgewordene Bestätigung dieser These. In ihren Bildern ist das Leben durchdrungen von Bedeutungsschichten. Alles steht für etwas anderes, alles ist Verweis, Zeichen, Geschichte. Der Betrachter verliert sich in einem dichten Netz aus Bedeutungen – und gewinnt dabei eine neue Perspektive auf die Welt.

Ein eindrucksvoller Nachmittag in Kathmandu. Und eine Erinnerung daran, wie sehr wir Menschen in Symbolwelten leben – oft, ohne es zu merken.


English version below


Today in Kathmandu: Art Full of Symbols

Today I visited an art exhibition in Kathmandu for the first time—at the Nepal Art Council. A small but refined space, tucked away amid the city’s chaos, yet open to the wide horizons of artistic expression. At exactly 3 p.m., we were the first to enter the show—as if what followed was unfolding just for us.

On display were works by South Korean artist LEE BO SUK, who, under the title “Character Symbol Abstract – World with Stories,” creates a universe of symbols and signs. And the title says it all. Her canvases are brimming with markings—from the Korean alphabet to Latin script, interwoven with words and letters that form entire visual landscapes.

But it doesn’t stop with language. Amid these fragments, natural forms begin to emerge: plants, gnarled trees, stylized mountains—as if the signs themselves wanted to become the landscape, or as if the world were one vast script.

It strongly evokes the philosopher Ernst Cassirer, who described humans as animal symbolicum—the “symbol-making animal.” What sets us apart from other species is not just tools or speech, but our unique capacity to create symbols—and to live within them.

LEE BO SUK’s work seems like a visual manifestation of that very idea. Her paintings are layered with meaning. Everything stands for something else—everything is a sign, a reference, a story. As viewers, we lose ourselves in this dense web of meaning—and gain a fresh perspective on the world around us.

A powerful afternoon in Kathmandu—and a quiet reminder of just how deeply we humans live in symbolic worlds. Often without even noticing it.