Hoffnung – Hope

Read this post in English ↓

Ich weiß nicht, ob es eine Alterserscheinung ist oder schlicht das Resultat eines langen Lebens: In letzter Zeit tauche ich tief in alte Bilder ein. Im wörtlichen wie im übertragenen Sinn. Ich digitalisiere Dias und Negative aus den Jahren meiner ersten Ehe, sehe Gesichter, Orte, Stimmungen – und fühle mich wieder ein in die Seelenlagen von damals.

Vieles war warm und schön, getragen von Liebe, Gemeinschaft und Aufbruch. Doch ebenso vieles war von Trauer und innerer Zerrissenheit geprägt. Ich fragte mich: Weshalb habe ich damals Entscheidungen getroffen, die ich aus heutiger Sicht kaum noch nachvollziehen kann?

Warum fuhr ich nach Rom zu einem Kongress der Fokolare-Bewegung? Warum Wochenenden in Solingen, in frommer Runde, während ich innerlich längst andere Wege ging? Warum studierte ich katholische Theologie am Diakonenseminar in Köln, obwohl ich mich doch mehr und mehr vom kirchlichen Dogma entfernte? Warum gründete ich 1990 ein Softwareunternehmen auf Basis einer damals kaum bekannten Technologie namens TCP/IP – gegen den Strom, gegen alle wirtschaftliche Vernunft?

Warum habe ich ein Jahr nach dem Tod meiner Tochter die Ehe verlassen? Warum stürzte ich mich in neue Beziehungen, wagte schließlich eine zweite Ehe, eine neue Familie? Und warum – das ist die vielleicht überraschendste Frage – übernahm ich 2013 ausgerechnet die Geschäftsführung einer Waldorfschule, obwohl ich nie ein Waldorfschüler war, nie Eurythmie getanzt habe und mit anthroposophischem Vokabular fremdelte?

Die Antwort kam heute früh. Leise, fast zärtlich, und doch mit der Klarheit eines Hammerschlags: Hoffnung.

Es war Hoffnung, die mich stets antrieb. Hoffnung, dass es besser werden kann. Dass es weitergeht. Dass sich Sinn finden lässt, selbst im Chaos. Dass hinter der nächsten Tür vielleicht doch ein Licht wartet.

In meinem letzten Blogbeitrag schrieb ich: „Solange ich frage, lebe ich. Und solange ich lebe, kann ich mich verändern.“ Heute würde ich ergänzen: „Solange ich hoffe, frage ich überhaupt noch.“ Wer keine Hoffnung hat, stellt keine Fragen. Er ergibt sich. Lässt sich treiben. Oder geht freiwillig.

Ich habe viel verloren in meinem Leben. Aber die Hoffnung – nein, die nie.

Vielleicht war es Glück. Vielleicht war es Prägung. Nachkriegsgeneration, Heimkind, ständig auf der Suche nach Halt – aber auch in einer Zeit aufgewachsen, in der alles besser zu werden schien. Die Welt war im Aufbruch. Fortschritt kein leeres Wort, sondern Erfahrung. Hoffnung lag in der Luft, sie war die unsichtbare Nahrung, die uns aufstehen ließ.

Heute sehe ich junge Menschen in Nepal, voller Verzweiflung. Ohne Aussicht auf Bildung, auf eine gesicherte Zukunft. Sie fliehen in frühe Ehen oder lassen sich ins Ausland verschiffen – billige Arbeitskraft im globalen Spiel. Ihre Hoffnung reduziert sich oft auf ein Stück Land, ein kleines Haus in der Heimat. Wer bin ich, über diese Hoffnung zu urteilen? Und doch frage ich mich: Was ist das für ein Leben, das nur aus Verzicht und Kalkül besteht?

Ich möchte Menschen Hoffnung schenken – nicht durch große Worte oder große Taten, sondern durch Gegenwart. Zuhören. Da sein. Vielleicht sogar nur durch das stille Wissen: Auch ich bin durch tiefe Täler gegangen – und lebe noch.

Hoffnung ist mächtiger als Geld. Hoffnung ist der eigentliche Reichtum. Geld kommt – manchmal. Aber ohne Hoffnung geht selbst das verloren. Dann verarmt der Mensch nicht nur äußerlich, sondern innerlich. Und hört auf zu fragen.

Und wer aufhört zu fragen, der stirbt.


English version below


Hope

I’m not sure if it’s a symptom of age or simply the result of a long life, but lately I’ve been diving deep into old images—both literally and metaphorically. I’ve been scanning slides and negatives from the years of my first marriage. Faces, places, and moods resurface—and with them, the emotions I once felt.

Many of those moments were beautiful, filled with love, warmth, and a sense of possibility. But others were steeped in sadness and quiet despair. I find myself asking: Why did I make certain decisions back then—choices I can hardly make sense of today?

Why did I travel to a Focolare congress in Rome? Why spend weekends in Solingen with religious groups when I was already drifting inwardly? Why study Roman Catholic theology at the deacon seminary in Cologne, when the dogma had long begun to lose its grip on me? Why start a software company in 1990 built on a little-known technology called TCP/IP—swimming against the tide of business logic and risking everything?

Why did I leave my marriage a year after the death of my daughter? Why enter new relationships, remarry, and build a new family? And why—perhaps the most curious decision of all—take on the role of managing director at a Waldorf school in 2013, when I had no personal connection to Waldorf education, had never done eurythmy, and often found anthroposophical language alien?

This morning, the answer came to me. Quietly, almost tenderly—but with striking clarity: hope.

It was hope that always carried me forward. The hope that things could get better. That life would go on. That even chaos might reveal some hidden meaning. That behind the next door, perhaps, a light might shine.

In my last post, I wrote: “As long as I’m asking questions, I’m alive. And as long as I’m alive, I can change.” Today, I would add: “But I only ask questions if I still have hope.” When hope dies, questions cease. One gives in. One drifts. Or chooses to end it all.

I’ve lost many things in life. But never hope.

Maybe I was lucky. Maybe it was the way I was shaped. A postwar child, raised in an orphanage, always seeking stability—but also growing up in a time when the world seemed to be getting better. The air was thick with possibility. Progress was real. Hope wasn’t a slogan—it was fuel.

Today I see young people in Nepal, weighed down by despair. With little hope for education or a secure future, they rush into early marriages or seek work abroad—as cheap labor in a global system. Their hope narrows down to a small piece of land, a modest house back home. Who am I to judge such hope? And yet I can’t help but ask: What kind of life is one built only on sacrifice and survival?

I want to offer people hope—not with grand speeches or heroic acts, but simply by being present. Listening. Showing up. Perhaps just by quietly affirming: I, too, have walked through valleys—and I’m still here.

Hope is more powerful than money. It is the real wealth. Money may come—sometimes. But without hope, even that disappears. A person becomes poor in every sense. Stops asking. Stops living.

And when you stop asking, you start to die.