In den Rissen des Alltäglichen – Gedanken über das Unbegreifliche

Letzte Nacht schrieb mir ein Freund: „Wir sehnen uns nach Freiheit, Wissen, gar nach Gewissheit. Es fällt uns schwer, was ist, zu lassen, wie es ist.“

Er hat recht. Wir Menschen haben diesen unstillbaren Drang, die Welt zu erklären, zu verstehen, in feste Begriffe zu pressen. Wir zähmen das Wilde, das Ungeformte, indem wir ihm Namen geben, es kategorisieren, es einhegen. Doch so verlieren wir oft den Blick für das, was sich nicht begreifen lässt – für das, was uns in seiner ganzen Fremdheit begegnet, aber gerade darin vertraut ist.

Ich denke an die großen sakralen Räume, die ich in meinem Leben betreten habe – die stillen Tempel Asiens, die dunklen Kathedralen Europas, die schlichten Schreine abgelegener Bergdörfer. Diese Orte sprechen eine andere Sprache, eine, die keine Worte braucht. Ihre Architektur ist ein Schweigen, das mehr sagt als tausend Sätze. Hier ist die Stille nicht Leere, sondern Fülle. Hier geht es nicht darum, zu verstehen, sondern zu erleben, zu fühlen, zu sein.

Wittgenstein forderte uns auf, über das zu schweigen, wovon wir nicht sprechen können. Für ihn sind die Grenzen der Sprache auch die Grenzen unserer Welt. Aber Heidegger, der mir in den letzten Monaten oft ein stiller Begleiter war, sieht die Sprache nicht als Begrenzung, sondern als Offenbarung des Seins. Für ihn ist die Sprache nicht das Gefängnis unserer Gedanken, sondern der Raum, in dem sich die Welt erst entfaltet.

Aber diese Sprache ist keine Sprache der Definitionen und Begriffe, sondern eine Sprache der Zeichen, der Andeutungen, der Stille. Es ist die Sprache der Berge im Morgennebel, der flüsternden Schatten alter Bäume, der abgenutzten Steinstufen, auf denen Generationen vor uns gegangen sind.

Es ist die Sprache der Hände, der Augen, der Gesten – jener flüchtigen Momente, die sich nicht festhalten lassen, die wir nur erleben können, wenn wir die Grenzen unserer Begriffe hinter uns lassen.

Wir Menschen haben die große Gabe, die Welt zu benennen, aber wir haben auch die Gabe, sie zu hören – jenseits aller Worte, jenseits aller Begriffe. In diesen Momenten des reinen Seins, wenn wir die Stille nicht als Mangel, sondern als Fülle begreifen, erkennen wir, dass es noch eine andere Form des Wissens gibt – ein Wissen, das sich dem Verstehen entzieht, ein Wissen, das nur im Lassen, im Seinlassen, im Zulassen aufscheint.

Hier, in den Rissen des Alltäglichen, wo die Sprache versagt, beginnt das Wahre.

Fühlen. Hören. Sehen. Sein.


In the cracks of everyday life – thoughts on the incomprehensible

A few days ago, a friend wrote to me: „We long for freedom, knowledge, even certainty. We find it difficult to leave things as they are.“

He is right. We humans have this insatiable urge to explain the world, to understand it, to press it into fixed concepts. We tame the wild, the unformed by giving it names, categorising it, containing it. But in doing so, we often lose sight of that which cannot be understood – of that which we encounter in all its strangeness, but which is familiar precisely because of this.

I think of the great sacred spaces that I have entered in my life – the silent temples of Asia, the dark cathedrals of Europe, the simple shrines of remote mountain villages. These places speak a different language, one that needs no words. Their architecture is a silence that says more than a thousand sentences. Here, silence is not emptiness, but fullness. Here it is not about understanding, but about experiencing, feeling, being.

Wittgenstein asked us to be silent about what we cannot speak about. For him, the limits of language are also the limits of our world. But Heidegger, who has often been a silent companion to me in recent months, sees language not as a limitation, but as a revelation of being. For him, language is not the prison of our thoughts, but the space in which the world first unfolds.

However, this language is not a language of definitions and concepts, but a language of signs, of allusions, of silence. It is the language of the mountains in the morning mist, the whispering shadows of old trees, the worn stone steps on which generations have walked before us.

It is the language of hands, eyes, gestures – those fleeting moments that cannot be captured, that we can only experience if we leave the boundaries of our concepts behind us.

We humans have the great gift of naming the world, but we also have the gift of hearing it – beyond all words, beyond all concepts. In these moments of pure being, when we understand silence not as a lack but as fullness, we recognise that there is another form of knowledge – a knowledge that eludes understanding, a knowledge that only emerges in letting go, in letting be, in allowing.

Here, in the cracks of everyday life, where language fails, the true begins.

Feeling. Hearing. Seeing. Being.