Liebe oder Mitgefühl – eine Rückkehr zur Frage

Im Januar schrieb ich über ein bewegendes Gespräch mit Norbu, einem buddhistischen Mönch aus dem Schechen-Kloster. Er sprach davon, dass die Liebe – so wie wir sie im Westen oft verstehen – begrenzt sei. Abhängig von Gegenseitigkeit. Selektiv. Und dass es etwas Tieferes gebe: Mitgefühl.

Damals hat mich das intellektuell überzeugt.
Heute bewegt es mich auf einer anderen Ebene.

Denn seither hat sich mein Blick auf die Liebe verändert – oder besser gesagt: vertieft. Nicht in einer romantischen Verklärung, sondern in der ernüchternden, manchmal unbequemen Auseinandersetzung mit mir selbst.

Ich habe begonnen zu erkennen, wie oft ich in meinem Leben geglaubt habe zu lieben – und in Wahrheit doch nur gesucht habe: nach Nähe, Bestätigung, Gemeinsamkeit, Erfüllung. Nichts davon ist falsch. Aber es ist nicht dasselbe wie Mitgefühl. Und vielleicht auch nicht dasselbe wie reife Liebe.

Rückblickend sehe ich, wie oft ich das Gegenüber in meinen Beziehungen als Projektionsfläche benutzt habe. Nicht absichtlich. Nicht aus Berechnung. Sondern aus einem tiefen, menschlichen Mangel heraus: dem Wunsch, mich selbst in einem anderen Menschen zu finden.
In der Nähe.
Im Sex.
In geteilten Interessen.
In der Vorstellung von Familie.

Doch Liebe – wenn sie denn mehr sein soll als ein Spiegel meines Verlangens – beginnt nicht mit dem Wunsch, sondern mit dem Interesse am Du.

Ein echtes, lebendiges, wachhaltendes Interesse.
Und genau hier schließt sich der Kreis zu Norbu.

Denn was ist dieses aufrichtige Interesse anderes als gelebtes Mitgefühl?

Nicht in Form von Mitleid.
Nicht als „ich verstehe dich, obwohl du so anders bist“.
Sondern als der einfache, aber radikale Wunsch, den anderen wirklich zu sehen – in seinem Schmerz, seiner Unvollkommenheit, seiner Eigenart.

In einer sehr persönlichen Auseinandersetzung wurde mir das schmerzhaft bewusst. Ich sah, wie meine eigene Ungeduld, meine Gereiztheit, meine Vorwürfe immer wieder aus der Enttäuschung darüber geboren wurden, dass der andere nicht das war, was ich in ihm sehen wollte.

Und ich stellte mir die Frage: Bin ich wirklich am anderen interessiert – oder nur an mir in seiner Nähe?

Mitgefühl, so glaube ich heute, könnte der Schlüssel zu einer tieferen Form der Liebe sein. Nicht als Ersatz, sondern als Grundton. Als innere Haltung, die auch dort noch trägt, wo Verliebtheit, Harmonie oder Bestätigung an ihre Grenzen stoßen.

Vielleicht ist es an der Zeit, die romantische Idee von Liebe loszulassen – oder zumindest zu erweitern.

Nicht: „Ich liebe dich, weil du mir guttust.“
Sondern: „Ich interessiere mich für dich, auch wenn du mir fremd bleibst. Ich will dich verstehen – nicht, um dich zu verändern, sondern um dir Raum zu geben.“

Norbu sagte, Mitgefühl sei nicht selektiv.

Heute ergänze ich:
Liebe ohne Mitgefühl bleibt unvollständig.
Und Mitgefühl ohne Liebe?
Es bleibt offen – und vielleicht gerade darum heilend.

Ich weiß nicht, wie lange ich dieses Interesse aufrechterhalten kann.
Ich weiß nur, dass ich es versuchen will.
Nicht, weil ich muss.
Sondern weil ich spüre: Hier beginnt Beziehung.


Love or compassion – a return to the question

In January, I wrote about a moving conversation with Norbu, a Buddhist monk from the Schechen monastery. He spoke about how love – as we often understand it in the West – is limited. Dependent on reciprocity. Selective. And that there is something deeper: Compassion.

At the time, that convinced me intellectually.
Today it moves me on a different level.

Because since then, my view of love has changed – or rather, deepened. Not in a romanticised glorification, but in a sobering, sometimes uncomfortable confrontation with myself.

I have begun to realise how often in my life I thought I was in love – and in reality was only looking for closeness, affirmation, togetherness, fulfilment. None of this is wrong. But it’s not the same as compassion. And perhaps not the same as mature love either.

Looking back, I realise how often I used the other person in my relationships as a projection screen. Not intentionally. Not out of calculation. But out of a deep, human lack: the desire to find myself in another person.
In closeness.
In sex.
In shared interests.
In the idea of family.

But love – if it is to be more than a mirror of my desire – does not begin with desire, but with an interest in you.
A genuine, lively, lively interest.
And this is where we come full circle to Norbu.

For what is this genuine interest other than lived compassion?

Not in the form of pity.
Not in the form of „I understand you, even though you are so different“.
But as the simple but radical desire to really see the other person – in their pain, their imperfection, their uniqueness.

In a very personal confrontation, I became painfully aware of this. I saw how my own impatience, my irritation, my reproaches were repeatedly born out of the disappointment that the other person was not what I wanted to see in them.

And I asked myself the question: am I really interested in the other person – or only in myself around them?

Compassion, I now believe, could be the key to a deeper form of love. Not as a substitute, but as a keynote. As an inner attitude that still carries us where infatuation, harmony or affirmation reach their limits.

Perhaps it’s time to let go of the romantic idea of love – or at least expand it.
Not: „I love you because you’re good for me.“
But rather: „I’m interested in you, even if you remain a stranger to me. I want to understand you – not to change you, but to give you space.“

Norbu said that compassion is not selective.
Today I add:
Love without compassion remains incomplete.
And compassion without love?
It remains open – and perhaps that is precisely why it is healing.

I don’t know how long I can maintain this interest.
I only know that I want to try.
Not because I have to.
But because I feel that this is where a relationship begins.