Nepal hautnah: Drei Wochen zwischen Gemeinschaft und Veränderung
Seit drei Wochen bin ich in Nepal, zusammen mit Yeshi. Es ist nicht mein erster Besuch – seit 2010 war ich über zehnmal hier. Doch diesmal ist alles anders. Drei Monate, nicht nur zwei Wochen, und ich bin nicht der Tourist, der sich auf Tempel und Landschaften konzentriert. Ich bin Teil einer Familie, Teil des Alltags, Teil der Herausforderungen, die dieses Land prägen.
Pokhara: Eine andere Welt
Einer der Höhepunkte unserer Reise war der Ausflug nach Pokhara. Die Stadt, malerisch an einem See und zu Füßen des Annapurna-Massivs gelegen, zeigt eine andere Seite Nepals. Hier gibt es gut ausgebaute Straßen, gepflegte Hotels und Restaurants, die internationale Gerichte servieren. Aber auch hier spürt man den Kontrast: Während Touristen die Aussicht auf die Berge genießen, kämpfen viele Einheimische ums Überleben.

Wir erlebten in Pokhara nicht nur die Schönheit der Natur, sondern auch bewegende Begegnungen. Besonders eindrücklich war der Sonnenaufgang am Sarangkot View Tower. Die ersten Strahlen der Sonne tauchten die Gipfel von Annapurna und Machapuchare in ein magisches Rot. Doch auch hier ist der Klimawandel greifbar. Die schneebedeckten Gipfel, die früher das Markenzeichen dieser Berge waren, sind heute oft nur noch karge Felsen. Für Yeshis Mutter, die glaubte, die Achttausender bestünden aus ewigem Schnee, war dieser Anblick ein Schock.
Eine Begegnung in den Bergen
Ganz anders war die Begegnung mit einer Frau im Shiwapuri-Nationalpark, nördlich von Kathmandu. Auf dem Weg zu einer kleinen Stupa trafen wir ihre Tochter. Sie ruhte sich aus, bevor sie den steilen Aufstieg zu ihrem Haus fortsetzen wollte. Als wir fragten, ob wir sie begleiten dürften, lächelte sie und sagte: „Gerne.“
Ihr Zuhause war bescheiden, aber der Stolz ihrer Mutter auf das, was sie erreicht hatte, war spürbar. Sie erzählte uns von ihrem Alltag, von der Arbeit auf den Feldern, von ihrem Mann, der seit Jahren im Ausland lebt, und von ihren Träumen. „Wenn meine Kinder groß sind und aus dem Haus gehen, werde ich mit meinem Mann hier ein ruhiges Leben führen,“ sagte sie und zeigte auf die umliegenden Häuser, in denen ihre Verwandten leben. Jeder kennt jeden, jeder hilft jedem – das ist das Fundament des Lebens hier.
Das Leben in Kathmandu
Zurück in Kathmandu erlebe ich den Alltag hautnah. Yeshi und ich bewegen uns durch die überfüllten Straßen, kaufen in kleinen Läden ein, fahren in Bussen und Taxis, essen, was ihre Familie isst. Die Nächte sind kalt, der Staub ist allgegenwärtig, und jeder Schritt auf den unebenen Wegen erfordert Aufmerksamkeit.
Ich sehe, wie Yeshi in ihrer Heimat aufblüht. In Zypern war sie oft traurig, niedergeschlagen. Hier lacht sie von morgens bis abends, voller Energie und Lebensfreude. Sie kümmert sich um alles, sorgt sich um mein Wohl und plant ihre Zukunft mit einer Entschlossenheit, die mich beeindruckt.
Herausforderungen und Hoffnung
Doch Nepal ist nicht nur das Land der atemberaubenden Landschaften und warmherzigen Menschen. Es ist auch ein Land voller Herausforderungen. Bildung wird hier fast ausschließlich mit Ausland assoziiert. Überall hängen Plakate, die Studienplätze in Japan, Australien oder den USA bewerben. Doch diese Träume sind teuer und verschulden viele Familien für Jahrzehnte. Gleichzeitig wissen sie, dass die Kinder, die ins Ausland gehen, oft nicht zurückkehren.
Die Familie ist hier die einzige Sozialversicherung. Ohne Kranken-, Arbeitslosen- oder Rentenversicherung müssen die Menschen füreinander sorgen. Ich sehe, wie Nachbarn zusammenkommen, um zu helfen – sei es bei der Beschaffung von Yeshis Zeugnissen, der Wohnungssuche oder der Anmeldung am College. Diese Gemeinschaft beeindruckt mich immer wieder.
Ein anderer Blick
Früher war ich der Fremde, der Nepal durch die Linse seiner westlichen Perspektive betrachtete. Jetzt bin ich ein Teil des Ganzen, lebe mit der Masse, erlebe die Härten und die Freude. Die Familie ist hier der Anker, das Zentrum des Lebens. In Deutschland steht das Individuum im Mittelpunkt, hier ist es die Gemeinschaft. Beide Systeme haben ihre Stärken und Schwächen.
Doch am meisten bewegt mich, wie sich Menschen wie die Frau im Shiwapuri oder Yeshi nicht unterkriegen lassen. Sie finden Hoffnung und Kraft in ihrer Gemeinschaft, in ihren Träumen und in kleinen Momenten der Freude. Diese Reise hat mir gezeigt, dass Glück oft dort liegt, wo wir es am wenigsten erwarten.
Ein Resümee
Drei Wochen Nepal – und ich bin dem Land und den Menschen näher als je zuvor. Ich sehe die Herausforderungen, aber auch die Stärke, die sie daraus ziehen. Diese Reise ist nicht nur eine Erfahrung, sondern eine Lektion in Demut, Dankbarkeit und Menschlichkeit.
English version below
Nepal up close: Three Weeks of Community and Change
Since arriving in Nepal three weeks ago, together with Yeshi, I’ve been immersed in everyday life. It’s not my first time here—since 2010 I’ve visited more than ten times. But this time is different: three months instead of two weeks. And I’m not the tourist focused on temples and landscapes. I’m part of a family, part of daily life, part of the challenges that shape this country.
Pokhara: A Different World
One of the highlights of our trip was our visit to Pokhara. Nestled by a lake and at the foot of the Annapurna massif, the city shows a different side of Nepal. There are well-developed roads, tidy hotels, and restaurants offering international cuisine. But the contrast is tangible: while tourists enjoy the mountain views, many locals struggle to survive.

In Pokhara we encountered not only natural beauty, but also touching human encounters. Most memorable was the sunrise at Sarangkot View Tower. The first rays of light bathed Annapurna and Machapuchare in a magical red glow. But even here, climate change was evident. The snowy peaks that once defined these mountains now often appear as barren rock. For Yeshi’s mother, who believed the eight-thousanders were eternally snow-capped, this sight was shocking.
A Mountain Encounter
Quite different was the encounter with a woman in Shivapuri National Park, north of Kathmandu. On our way to a small stupa, we met her daughter resting before continuing the steep climb to their home. When we asked if we could join her, she smiled and said, “Of course.”
Their home was humble, but the mother’s pride in what she had achieved was palpable. She told us about her daily life, working in the fields, her husband who has been working abroad for years, and her dreams: “When my children grow up and move out, I will live a quiet life here with my husband,” she said, pointing to the nearby houses where her relatives live. Everyone knows everyone. Everyone helps everyone. That’s the foundation of life here.
Everyday Life in Kathmandu
Back in Kathmandu, I’m experiencing everyday life firsthand. Yeshi and I move through the crowded streets, shop at small local stores, take buses and taxis, and eat what her family eats. The nights are cold, the dust omnipresent, and every step on uneven paths demands attention.
I see how Yeshi thrives in her home country. In Cyprus, she was often sad and withdrawn. Here she laughs from morning till night, full of energy and joy. She takes care of everything, looks after my well-being, and plans her future with a determination that inspires me.
Challenges and Hope
But Nepal is not only a land of breathtaking landscapes and warm-hearted people. It’s also a country full of challenges. Education here is almost entirely associated with going abroad. Posters advertising study opportunities in Japan, Australia, or the US are everywhere. But those dreams are costly and often plunge families into decades of debt. And most children who go abroad never return.
The family is the only form of social security here. Without health, unemployment, or pension insurance, people must rely on each other. I see neighbors coming together to help—with Yeshi’s school records, finding a flat, or college enrollment. This community spirit continues to move me deeply.
A Shift in Perspective
In the past, I was the outsider viewing Nepal through a Western lens. Now I’m part of the whole, living among the masses, experiencing the hardships and joys. Here, family is the anchor and center of life. In Germany, the individual is at the core—here, it’s the community. Both systems have their strengths and weaknesses.
But what touches me most is how people like the woman in Shivapuri or Yeshi never give up. They draw strength and hope from their communities, their dreams, and the small joys of daily life. This journey has shown me that happiness often lies where we least expect it.
A Personal Conclusion
Three weeks in Nepal—and I feel closer to the country and its people than ever before. I see the challenges, but also the strength they gain from them. This trip is not just an experience; it is a lesson in humility, gratitude, and humanity.