NordArt Büdelsdorf: Ein Vierteljahrhundert im Zeichen der Kunst

Das Kunstwerk Carlshütte in Büdelsdorf erstrahlt auch in diesem Jahr als leuchtendes Zentrum der zeitgenössischen Kunst: Vom 1. Juni bis 6. Oktober 2024 feiert die NordArt ihr 25-jähriges Jubiläum. Auf dem historischen Gelände der ehemaligen Eisengießerei versammeln sich Werke von 200 Künstlerinnen und Künstlern aus aller Welt, die eindrucksvoll die Erschütterungen und Sehnsüchte unserer Zeit widerspiegeln. Diese Ausstellung, eine der größten ihrer Art in Europa, würdigt nicht nur das Vierteljahrhundert ihres Bestehens, sondern stellt auch die bisherigen Preisträgerinnen und Preisträger in den Mittelpunkt – eine Hommage an die unermüdliche Schaffenskraft der Kunstschaffenden, die wie Seismografen gesellschaftliche Entwicklungen aufzeichnen und neue Utopien schaffen.

Zugegeben, ich frage mich seit geraumer Zeit, ob ein Kunstwerk an sich eine Botschaft senden kann, die von jedermann gleichermaßen verstanden wird. Ich behaupte, dass das nicht möglich ist, zumindest wenn wir annehmen, dass es grundsätzlich keine objektive Betrachtung gibt und jedes Lebewesen lediglich die Wechselwirkung zwischen einem Objekt und sich selbst wahrnimmt. Was ich in einem Werk sehe, hängt gleichermaßen vom Kunstwerk und von mir ab. Wollte ich mich mit anderen Menschen über ein Objekt austauschen, müssten wir uns auf einzelne Aspekte beschränken, zum Beispiel auf die handwerkliche Ausführung. Aber egal für welche Aspekte wir uns auch entscheiden, wir werden das Kunstwerk in Gänze niemals beschreiben. Ich hoffe immer noch auf Menschen, die mich eines Besseren belehren.

Ein Beispiel: Seit Jahren ist eine Gruppe von 25 überdimensionalen Gorillas Teil der Ausstellung. Jeder Gorilla starrt mit leicht angewinkelten Knien in den Himmel, die Hände gefaltet, geöffnet nach oben gerichtet, an die Seite oder auf die Knie gelegt. Da ich mich in den letzten Tagen und Wochen vermehrt mit Identitäten, der Identitätssynthese und Ideologien befasse, sehe ich in diesem Kunstwerk eine Anspielung auf die menschliche Sehnsucht nach transzendenten Wesen, mit anderen Worten, nach sinnstiftenden Wesenheiten einer geistigen Welt. Die Absurdität dieser Sehnsucht spiegelt mir dieses Kunstwerk wider: Stell dir vor, unsere nächsten Verwandten im Tierreich würden ähnlich wie wir auf Erlösung und Sinn hoffend in den Himmel starren und irgendwelche imaginären Wesenheiten anhimmeln. Ich würde denken, die Gorillas haben sie nicht mehr alle, kein Wunder, dass sie auf dieser Ebene zurückgeblieben sind.

Wenig später komme ich zu einer Gruppe von sechs schwarz gewandeten Skulpturen mit weißem Kopfschmuck, alle den Kopf gen Himmel gereckt, alle laut schmetternd Lobpreisungen von sich gebend, einer die Arme in den Himmel gereckt. Ich denke mir: OK, hier ist das Gegenstück zur Gorilla-Gruppe, diesmal mit männlichen Menschen.

Dann erinnere ich mich an das Objekt mit den neun aufgereihten Nonnen, alle mit gefalteten Händen und kontemplativem Blick. Ach, und dann denke ich an die Bilder mit einem Gewusel von Menschen, jeder für sich völlig individuell, keiner sieht aus wie der andere. Und ich denke darüber nach, wie Identitäten ein Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit verleihen, wie Ideologien die Individualität von uns Menschen vernichten und wie sie Menschen ihrer Verantwortung für ihr Denken und Handeln entledigen.

Und während ich zuhause in diesem Sinne immer noch darüber nachdenke, was mir all die Kunstwerke sagen wollten, lese ich, was der Erschaffer der überdimensionalen Gorillas sagen wollte: „Die überdimensionalen Gorillas sollen mit ihrem Blick gen Himmel vor der zunehmenden Zerstörung der Natur durch die Errungenschaften der Zivilisation mahnen. Die verblüfften Augen und das unschuldige Gesicht der Affenmenschen offenbaren den Wunsch, all das zu korrigieren und in Richtung einer strahlenden Zukunft zu gehen“, sagte Ruowang. (Quelle: Die ZEIT, 29.06.2022) Versteht Ihr jetzt, weshalb ich manchmal ein gespaltenes Verhältnis zur Kunst habe?

Im Übrigen ist für mich die Natur der größte Künstler.