Vom Träumen zum Handeln: Potenziale erkennen und nutzen

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Deutschland. Meine Frau sagt, ich sei wieder in der Wirklichkeit angekommen. Na toll. Letzte Nacht trommelte ich unruhig mit den Fingern auf dem Küchentisch: „Nichts wie weg.“ Aber hier bin ich.

Es ist 7 Uhr, als ich das erste Mal aufwache. Draußen ist es stockdunkel. Der Schlaf drückt noch schwer auf meinen Augenlidern. Ich öffne das Fenster und lasse die kalte Luft herein – frische Luft, die mich hoffentlich munterer macht. Anderthalb Stunden später wache ich wieder auf, trinke einen Schluck Wasser, öffne die Jalousien und starre hinaus in eine feuchte, kühle, graue Welt. Die Bäume sind fast kahl, die Gräser klamm, alles ruht unter einem Dunstschleier. Einzig das rote Laub am Blaubeerbusch leuchtet ein wenig auf. Aber wo ist die Sonne? Ich schaue auf den Wetterbericht: Zypern 26°C sonnig, Malta 22°C sonnig, Schleswig-Holstein 4°C bewölkt.

Es dauert, bis ich mich unter die Dusche schleppe. „So also fühlt sich Depression an“, denke ich. Noch vor dem Frühstück rufe ich einen Freund an – acht Jahre älter, ein lebendiger Gesprächspartner. Meistens treffen wir uns wöchentlich zu einem Gedankenaustausch, oft über Stunden. Heute reden wir über Yeshi und Lekshey, über meine Freude, bei Yeshi durch Bestätigung und Wertschätzung so viel Positives angestoßen zu haben. Und über meinen Frust über junge Menschen, die Nepal planlos verlassen wollen, u.a. auf gefährlichen Flüchtlingspfaden mit falscher Identität nach Frankreich. Die Lotusblüte fällt mir ein, über die ich erst kürzlich schrieb – wie sie aus dem Schlamm wächst, Nährstoffe zieht und mit einer wunderschönen Blüte an die Wasseroberfläche strebt, der Sonne entgegen. Mein Freund bringt es gut auf den Punkt: „Es ist eine Sache, ob man nur das Umfeld ändern will, in der Hoffnung, dass es die Dinge verbessert, oder ob man sein eigenes Potenzial erkennt und es aktiv entfaltet – für sich und zum Wohl anderer.“

Wunderbare Worte. Und sie gelten genauso für mich. Depressiv zuhause rumsitzen, den fehlenden Sonnenschein beklagen und nur davon träumen, schnell wieder woanders zu sein – das bringt weder mich noch die Menschen um mich herum einen Schritt weiter. Potenziale erkennen, daran glauben und in die Tat umsetzen, das hält uns am Leben. Ohne das würde mein Leben seinen Sinn verlieren. Ich will nicht bloß existieren; ich will gestalten, die Menschen um mich herum weiterbringen. Den Menschen spiegeln, dass ich sie liebe. Wenn ich das aufgäbe, bliebe nur noch der Tod. Dann hätte ich meine Daseinsberechtigung verwirkt.

Also, alter Mann – get up and boogie!


From dreaming to acting: recognising and using potential

Germany. My wife says I’ve returned to reality. That’s great. Last night I was drumming my fingers restlessly on the kitchen table: ‘Let’s get out of here.’ But here I am.

It’s 7 o’clock when I wake up for the first time. It’s pitch black outside. Sleep still weighs heavily on my eyelids. I open the window and let the cold air in – fresh air that will hopefully cheer me up. An hour and a half later, I wake up again, take a drink of water, open the blinds and stare out into a damp, cool, grey world. The trees are almost bare, the grasses clammy, everything rests under a veil of haze. Only the red foliage on the blueberry bush lights up a little. But where is the sun? I look at the weather forecast: Cyprus 26°C sunny, Malta 22°C sunny, Schleswig-Holstein 4°C cloudy.

It takes me a while to drag myself into the shower. ‘So this is what depression feels like,’ I think. Before breakfast, I call a friend – eight years older, a lively conversationalist. We usually meet every week to exchange ideas, often for hours. Today we talk about Yeshi and Lekshey, about my joy at having triggered so many positive things in Yeshi through affirmation and appreciation. And about my frustration with young people who want to leave Nepal without a plan, including travelling to France on dangerous refugee routes with false identities. The lotus flower comes to mind, which I wrote about recently – how it grows out of the mud, draws nutrients and reaches for the surface of the water with a beautiful blossom, towards the sun. My friend sums it up well: ‘It’s one thing whether you just want to change the environment in the hope that it will improve things, or whether you recognise your own potential and actively develop it – for yourself and for the benefit of others.’

Wonderful words. And they apply to me just as much. Sitting at home depressed, bemoaning the lack of sunshine and only dreaming of being somewhere else again quickly – that doesn’t get me or the people around me one step further. Recognising potential, believing in it and putting it into practice is what keeps us alive. Without that, my life would lose its meaning. I don’t just want to exist; I want to create, to help the people around me move forward. To show people that I love them. If I gave that up, the only thing left would be death. Then I would have forfeited my right to exist.

So, old man – get up and boogie!