Von Leuchtfeuern und dunklen Momenten: Geschichten der Hoffnung und Resilienz

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Samstagmorgen. Ein milder Wind zieht über die Insel, und Schaumkronen tanzen auf den Wellen. Graue Wolken lassen das Licht diffus erscheinen, als würde die Welt in einem sanften, gedämpften Schein verharren. Ich frage mich, was all die Geschichten, die ich in den letzten Tagen hier auf Zypern niedergeschrieben habe, mit dem Motto meines Blogs „Bright Places“ – den schönen Seiten des Lebens – zu tun haben. Ich lese einige Beiträge erneut, in der Hoffnung, ihre eigentliche Botschaft mit etwas Abstand besser zu begreifen. Beim Schreiben reihe ich Ereignis an Ereignis, oft ohne viel zu interpretieren, auch wenn Emotionen für einen Moment meinen Verstand überwältigen.

Doch beim erneuten Lesen wurde mir die enorme Spannung bewusst, die in all diesen Geschichten liegt: zwischen dem Schlamm und Morast, in dem wir alle auf die eine oder andere Weise verwurzelt sind, und der menschlichen Strahlkraft, die sich aus ihnen erhebt. Ich könnte den Kopf senken und auf all das Übel in der Welt blicken: den modernen Menschenhandel, die Ausbeutung durch eigene Landsleute, den Druck der Gesellschaft, sich „sozial konform“ zu verhalten, die Perspektivlosigkeit in der Arbeit und im Leben. Ich könnte mich fragen: Was bringt es, weniger Müll zu produzieren, weniger Abgase in die Luft zu blasen, weniger Plastik zu konsumieren? Was nützt es, sich den ständigen, sedierenden Einfluss der Massenmedien zu verweigern?

Ich erinnere mich an die Nonnen der Arya-Tara-Schule, die sich auf den Weg nach Frankreich gemacht haben oder bereits dort sind – als Flüchtlinge mit einer gefälschten Identität. „Was nützt mir ein höherer Schulabschluss in Nepal,“ fragten sie, „wenn ich dennoch keine Perspektive habe und am Ende wie meine Mutter von einem Trinker abhängig bin, den ich auch noch durchfüttern muss?“

Doch wenn man den Blick hebt und nicht ständig in die Negativschlagzeilen eintaucht, öffnet sich ein anderes Weltbild. Man kann selbst zu einem Leuchtfeuer für andere werden. Heute Morgen dachte ich an das Bild der Lotusblüte – in westlichen Kulturen oft als kitschig abgetan, aber in den asiatischen Kulturen, besonders im Buddhismus, ein kraftvolles Symbol. Die Lotusblüte ist tief im Schlamm verwurzelt und strebt mit ihren Blättern und ihrer Blüte an die Wasseroberfläche, um dort in ihrer vollen Pracht zu erblühen. Der Schlamm ist ihre Nährquelle, ihre Wurzeln greifen in den modrigen Grund, aber sie selbst strebt dem Licht entgegen und eröffnet uns ein Bild von Reinheit und Kraft. Ich kann den Kopf gesenkt lassen und auf meine Herkunft schauen, oder ich kann mein Leben nach der Sonne ausrichten und so die Welt ein klein wenig heller machen.

Vielleicht ist es die Resilienz, die Menschen, die unter schlimmen Bedingungen aufgewachsen sind, dazu bringt, eher nach dem Licht zu streben als jene, die in einer wohlbehüteten Umgebung aufwuchsen, satt sind und nur noch ihre Besitztümer verteidigen. Wenn ich beobachte, wie Menschen, die in Waisenhäusern oder als Dalit aufwuchsen, ihr späteres Leben bestreiten, sehe ich meist nur katastrophale Geschichten. Doch die wenigen, die bis an ihr Lebensende die Hoffnung nicht aufgeben, werden zu Leuchtfeuern für viele. Sie sind diejenigen, die trotz widriger Umstände strahlen und anderen den Weg weisen.

Deshalb „Bright Places“. Deshalb schreibe ich diese Blogposts. Die letzten anderthalb Wochen hier auf Zypern haben mir gezeigt, wie viel Hoffnung in den scheinbar dunkelsten Momenten steckt. Nur wenige Kilometer von hier, im Libanon, im Gazastreifen, in Israel, verlieren jede Minute Menschen ihr Leben durch menschengemachte Bomben und Waffen. Anderswo verlassen Menschen ihre Familien in der Hoffnung auf ein besseres Leben – in Zypern, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, den USA – immer mit dem Blick auf den Schlamm, ohne Licht, ohne Orientierung.

Was bringt Menschen dazu, die Welt anders zu sehen als die meisten ihrer Mitmenschen? Was treibt sie dazu, in anderen das Glück hervorzurufen, das ihnen selbst verwehrt blieb? Ist es nur ein Gen? Wir hätten es vielleicht gerne so, denn dann könnten wir unsere Abstammung oder die Natur für unseren Missmut und unsere Hoffnungslosigkeit verantwortlich machen. Doch ich glaube fest daran, dass es die Geschichten sind, die wir uns einander erzählen. Geschichten, die unser Denken, unsere Worte und unser Handeln prägen. Solange es Menschen gibt, die hoffnungsvolle Geschichten erzählen, die das Leid nicht ignorieren, sondern als Kontrast zum Licht verwenden, gibt es Hoffnung – auch in der Ukraine, in Russland, in Israel, im Libanon, im Gazastreifen und für jeden von uns, wo immer wir auch leben.


Of beacons and dark moments: Stories of hope and resilience

Saturday morning. A mild wind blows over the island and whitecaps dance on the waves. Grey clouds make the light appear diffuse, as if the world is in a soft, subdued glow. I wonder what all the stories I’ve written down here on Cyprus over the last few days have to do with the motto of my blog ‘Bright Places’ – the beautiful side of life. I am re-reading some of the posts in the hope of better understanding their actual message with a little distance. As I write, I string event after event together, often without much interpretation, even when emotions momentarily overwhelm my mind.

But re-reading them, I realised the enormous tension that lies in all these stories: between the mud and mire in which we are all rooted in one way or another, and the human radiance that rises from them. I could lower my head and look at all the evil in the world: modern human trafficking, exploitation by one’s own countrymen, the pressure from society to behave in a ‘socially conformist’ way, the lack of prospects in work and in life. I could ask myself: what is the point of producing less rubbish, blowing less exhaust fumes into the air, consuming less plastic? What is the point of refusing the constant, sedating influence of the mass media?

I remember the nuns from the Arya Tara school who have made their way to France or are already there – as refugees with a fake identity. ‘What good is a higher school-leaving qualification in Nepal,’ they asked, ’if I still have no prospects and end up depending on a drunkard like my mother, who I also have to feed?’

But if you lift your gaze and don’t constantly immerse yourself in the negative headlines, a different world view opens up. You can become a beacon of light for others. This morning I thought of the image of the lotus flower – often dismissed as kitsch in Western cultures, but a powerful symbol in Asian cultures, especially Buddhism. The lotus flower is deeply rooted in the mud and reaches for the surface of the water with its leaves and blossom to blossom in its full splendour. The mud is its source of nourishment, its roots reach into the mouldy ground, but it itself strives towards the light and presents us with an image of purity and strength. I can keep my head down and look at my origins, or I can orientate my life towards the sun and make the world a little brighter.

Perhaps it is resilience that makes people who have grown up in bad conditions more likely to strive for the light than those who have grown up in a sheltered environment, are fed up and only defend their possessions. When I observe how people who grew up in orphanages or as Dalits make a living in later life, I usually only see catastrophic stories. But the few who do not give up hope until the end of their lives become beacons of light for many. They are the ones who shine despite adverse circumstances and show others the way.

That’s why ‘Bright Places’. That’s why I write these blog posts. The last week and a half here in Cyprus have shown me how much hope there is in the seemingly darkest moments. Just a few kilometres from here, in Lebanon, in the Gaza Strip, in Israel, people are losing their lives every minute to man-made bombs and weapons. Elsewhere, people are leaving their families in the hope of a better life – in Cyprus, Germany, France, the UK, the USA – always with their eyes on the mud, without light, without direction.

What makes people see the world differently to most of their fellow human beings? What drives them to create happiness in others that they themselves have been denied? Is it just a gene? We might wish it was, because then we could blame our ancestry or nature for our displeasure and hopelessness. But I firmly believe that it is the stories we tell each other. Stories that shape our thoughts, our words and our actions. As long as there are people who tell hopeful stories, who do not ignore the suffering but use it as a contrast to the light, there is hope – also in Ukraine, in Russia, in Israel, in Lebanon, in the Gaza Strip and for each of us, wherever we live.