Weihnachtszeit und Glaubensfragen: Ein persönlicher Blick
Heute Morgen habe ich mir eine Folge einer Schweizer Radiosendung zum Thema Philosophie angehört. Darin wurde ein aufschlussreiches Gespräch zwischen Wolfram Eilenberger und Tobias Haberl über Haberls Buch „Unter Heiden – Warum ich trotzdem Christ bleibe“ geführt. Die Diskussion hat mich gefesselt und mich zum Nachdenken über Religion im Allgemeinen, Katholizismus im Besonderen und letztlich über meine eigene Weltanschauung angeregt.
Eilenbergers Gespräch mit Haberl griff die Themen der Weihnachtszeit auf – eine Zeit, in der viele von uns über Zusammengehörigkeit, Glauben und die Suche nach Unterstützung nachdenken. Diese Überlegungen haben mich dazu veranlasst, meine eigenen Erfahrungen zu untersuchen. Auch ich verspüre in diesen Tagen eine gewisse Sehnsucht nach der festlichen Gemeinschaft, die ich früher in den katholischen Kirchenschiffen erlebt habe: Die Lieder, die Gebete, die Lesungen, die Eucharistie – sie alle schufen eine Verbindung zwischen Fremden, eine Verbindung, die uns in einem größeren Rahmen zusammenbrachte.
Aber dieser Rahmen, der einst so deutlich auf eine transzendente Wahrheit außerhalb von mir hinwies, lässt mich heute innehalten. Warum sollte ich meinen Anker an etwas knüpfen, das jenseits dieser Welt liegt – jenseits von Menschen, Tieren und dem Leben, das uns hier und jetzt umgibt? Nein, ich glaube nicht, dass ein Gott – wie auch immer wir ihn nennen mögen – die Antwort für mich ist. Eine solche Vorstellung neigt dazu, mich von meinen Mitmenschen und Mitgeschöpfen zu entfremden, von dem Netz gegenseitiger Abhängigkeiten, das sich durch unser Leben zieht.
Denn ich bin mir bewusst, dass wir alle Teil eines großen, lebendigen Netzwerks sind. Jeder von uns ist von anderen abhängig, jeder von uns berührt das Leben anderer. Diese Verbundenheit ist meine Grundlage, und daraus schöpfe ich mein Vertrauen – nicht aus einer transzendenten Wahrheit, die über der Menschheit steht, sondern aus der Verantwortung und Nähe, die wir füreinander haben.
Leider zeigt die Geschichte, wie verheerend es sein kann, wenn Menschen ihren moralischen Kompass auf ein transzendentes Wesen ausrichten, anstatt auf ihre Mitmenschen und Mitgeschöpfe. Die Kreuzzüge, die Inquisition, die Hexenverfolgung – all diese Gräueltaten wurden mit dem Verweis auf den Willen eines höheren Wesens gerechtfertigt. Auch heute gibt es unzählige Beispiele: religiöser Extremismus, der zu Terrorakten führt; das gewaltsame Streben nach „Reinheit“ im Namen Gottes oder die systematische Diskriminierung von Menschen aufgrund ihres Lebensstils, ihres Glaubens oder ihrer Identität.
Aber es geht nicht nur um Gewalt. Beunruhigend ist auch die passive Ignoranz, mit der viele glauben, die Verantwortung für die Welt an eine höhere Macht abgeben zu können. Die Umwelt, Tiere und Mitmenschen zu vernachlässigen – in der Hoffnung, dass ein Gott alles richten wird – ist für mich ein Widerspruch zu der Verantwortung, die wir füreinander haben.
Und doch: Ist die einzige Gefahr, sich auf das Transzendente zu konzentrieren? In unserer säkularen Welt richten viele Menschen ihren Kompass auf etwas anderes aus: Geld. Auch dies ist eine externe Instanz, die das Verhalten prägt und rechtfertigt. Ob religiöser Glaube oder Profitstreben, das Ergebnis bleibt oft dasselbe: Ausbeutung, Ignoranz und Entfremdung. Umweltzerstörung, Ausbeutung von Menschen in Billiglohnländern oder der gnadenlose Konkurrenzdruck in unserer Leistungsgesellschaft zeigen, dass die Anbetung des Geldes auch Verrat an unseren Mitmenschen und Mitgeschöpfen bedeutet.
Doch es gibt eine weitere Gefahr: Nationalismus. Wenn Menschen ihren moralischen Kompass auf nationale Zugehörigkeit ausrichten, wird dies schnell zur Quelle von Spaltung, Hass und Konflikt. Die Vorstellung, dass eine Nation oder ein Volk anderen überlegen ist, hat in der Geschichte zu unermesslichem Leid geführt: von Kriegen und Kolonialismus bis hin zu Völkermord. Auch heute sehen wir, wie Nationalismus Grenzen zwischen Menschen aufbaut, Solidarität durch Konkurrenz ersetzt und Verantwortung für globale Probleme wie Klimawandel oder Migration ablehnt – oft im Namen des vermeintlichen Wohls einer Nation.
Ob religiöser Glaube, Geld oder Nationalismus – alle drei können uns dazu verleiten, die Verantwortung für unser Handeln von uns selbst abzuwälzen. Doch ich glaube, dass wahre Orientierung nicht in der Externalisierung unseres Kompasses liegt, sondern in der Anerkennung unserer gegenseitigen Abhängigkeiten und unserer Verantwortung füreinander.
Doch eines möchte ich betonen: So kritisch ich mich mit Religion, Geld oder Nationalismus auseinandersetze, so sehe ich doch, dass sie für viele Menschen auch Positives bedeuten können. Religion kann Trost, Gemeinschaft und ethische Orientierung bieten. Geld ist ein notwendiges Mittel, um in dieser Welt zu existieren und unsere Bedürfnisse zu erfüllen. Nationen haben ihre Daseinsberechtigung, als kulturelle Gemeinschaften und politische Strukturen, die den Zusammenhalt fördern.
Das Problem liegt nicht in ihrer Existenz, sondern darin, dass wir sie von einer liebevollen Beziehung zu anderen Menschen, zu allen Lebewesen und zur Natur abkoppeln. Ohne diese Beziehung verfehlen sie ihren Sinn. Religion, Geld und Nationen sollten Werkzeuge sein, die uns helfen, diese Verbindung zu stärken – nicht Hindernisse, die uns voneinander trennen.
Vielleicht sind das die Fragen, die dich und mich derzeit beschäftigen. Das Gespräch zwischen Wolfram Eilenberger und Tobias Haberl könnte inspirierende Einsichten bieten – ich kann es dir nur wärmstens empfehlen.
Christmas time and questions of faith: a personal view
This morning I listened to an episode of a Swiss radio programme on the subject of philosophy. It featured an insightful conversation between Wolfram Eilenberger and Tobias Haberl about Haberl’s book ‘Unter Heiden – Warum ich trotzdem Christ bleibe’ (Among heathens – Why I still remain a Christian). The discussion captivated me and made me think about religion in general, Catholicism in particular and ultimately about my own world view.
Eilenberger’s conversation with Haberl picked up on the themes of the Christmas season – a time when many of us reflect on togetherness, faith and the search for support. These reflections prompted me to examine my own experiences. These days, I too feel a certain longing for the festive community I used to experience in Catholic church aisles: The songs, the prayers, the readings, the Eucharist – they all created a connection between strangers, a connection that brought us together in a larger framework.
But that framework, which once pointed so clearly to a transcendent truth outside of me, gives me pause today. Why should I tie my anchor to something beyond this world – beyond people, animals and the life that surrounds us here and now? No, I don’t believe that a god – whatever we may call him – is the answer for me. Such an idea tends to alienate me from my fellow human beings and fellow creatures, from the web of interdependence that runs through our lives.
For I am aware that we are all part of a large, living network. Each of us is dependent on others, each of us touches the lives of others. This interconnectedness is my foundation, and I draw my trust from it – not from a transcendent truth that stands above humanity, but from the responsibility and closeness we have for each other.
Unfortunately, history shows how devastating it can be when people orientate their moral compass towards a transcendent being instead of towards their fellow human beings and fellow creatures. The Crusades, the Inquisition, the persecution of witches – all these atrocities were justified by referring to the will of a higher being. Even today, there are countless examples: religious extremism that leads to acts of terrorism; the violent pursuit of ‘purity’ in the name of God or the systematic discrimination of people based on their lifestyle, faith or identity.
But it’s not just about violence. The passive ignorance with which many believe they can hand over responsibility for the world to a higher power is also worrying. For me, neglecting the environment, animals and fellow human beings – in the hope that a god will fix everything – is a contradiction to the responsibility we have for each other.
And yet, is the only danger in focussing on the transcendent? In our secular world, many people set their compass on something else: Money. This too is an external entity that shapes and justifies behaviour. Whether religious faith or the pursuit of profit, the result is often the same: exploitation, ignorance and alienation. Environmental destruction, exploitation of people in low-wage countries or the merciless competitive pressure in our meritocracy show that the worship of money also means betrayal of our fellow human beings and fellow creatures.
But there is another danger: nationalism. When people orientate their moral compass towards national affiliation, this quickly becomes a source of division, hatred and conflict. The idea that one nation or people is superior to others has led to immeasurable suffering throughout history: from wars and colonialism to genocide. Even today, we see how nationalism erects borders between people, replaces solidarity with competition and rejects responsibility for global problems such as climate change or migration – often in the name of the supposed good of a nation.
Whether religious faith, money or nationalism – all three can tempt us to shift responsibility for our actions away from ourselves. But I believe that true orientation lies not in externalising our compass, but in recognising our interdependence and our responsibility for each other.
But I would like to emphasise one thing: As critical as I am of religion, money or nationalism, I recognise that they can also mean positive things for many people. Religion can offer comfort, community and ethical orientation. Money is a necessary means to exist in this world and fulfil our needs. Nations have their raison d’être as cultural communities and political structures that promote cohesion.
The problem lies not in their existence, but in the fact that we disconnect them from a loving relationship with other people, with all living beings and with nature. Without this relationship, they fail to fulfil their purpose. Religion, money and nations should be tools that help us to strengthen this connection – not obstacles that separate us from each other.
Perhaps these are the questions that are currently occupying you and me. The conversation between Wolfram Eilenberger and Tobias Haberl could offer inspiring insights – I can only warmly recommend it to you.
Bild: © Jürgen Beckmerhagen, Meldorfer Dom