Yeshi: Aufbruch in ein neues Leben

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Die Sonne steht tief am Himmel über Zypern, und die leisen Wellen des Meeres flüstern ihre beständige Melodie. Mein Blick schweift über das endlose Blau, während die Gedanken an die letzten zwei Wochen in mir nachklingen. Diese Reise wurde zu einem Wendepunkt.

Am Morgen sprach Yeshi mit Surendra Lama, dem ersten Mann ihrer Mutter und Schulleiter einer öffentlichen Schule in Nepal. Ein Mann, dessen Geschichte Schatten auf Yeshis Kindheit geworfen hat – eine Tragödie, die ich in meinem ersten Blogpost „Yeshi: Vom Leid zur Selbstbestimmung“ beschrieb. Doch heute war er eine Quelle der Hoffnung. Er erklärte ihr, wie sie den Abschluss der 10. Klasse wiederholen könne, um ein korrektes Abschlusszeugnis zu erhalten. Das aktuelle Schuljahr läuft seit sieben Monaten, und in fünf weiteren Monaten wäre die Prüfung. Ein Abschluss, den sie schon 2016 gemacht hatte – unter einer falschen Identität.

Mittags sprach Yeshi mit der Leiterin des Montessori-Kindergartens, die überrascht war, dass Yeshi nach einer neuen Anstellung fragte. Sie erinnerte sich gut an Yeshis Begeisterung, nach Zypern zu gehen, und konnte kaum glauben, welche Hindernisse und Kosten mit der Agentur und dem Leben in der Ferne verbunden waren. Die Leiterin will sich melden, um zu sehen, ob sie Yeshi in naher Zukunft oder erst in anderthalb Jahren eine Stelle anbieten kann.

Yeshi hat das Gefühl, dass ihr fehlender Schulabschluss vom Montessori-Kindergarten in der Vergangenheit dahingehend ausgenutzt wurde, dass sie mehr Überstunden leisten musste. Sie ist überzeugt, dass dieses Problem künftig nicht mehr bestehen wird.

Ein drittes Gespräch fand mit ihrer Arbeitgeberin hier in Zypern, ihrer „Lady Boss“, statt. Entgegen allen Erwartungen verlief es gut. Yeshi erklärte, dass das Darlehen für die Vermittlungsagentur zurückgezahlt sei und dass sie sich nun auf ihre berufliche Zukunft konzentrieren möchte. Dazu gehört zunächst der Schulabschluss. Die Arbeitgeberin reagierte positiv und ermutigte Yeshi, ihre Ziele in kleinen Schritten konsequent zu verfolgen, ihr Geld zu sparen, nicht alles nach Nepal zu überweisen und bis zum Vertragsende 2026 zu bleiben. Mit ihren Zielen und Plänen gewann sie ganz offensichtlich an Ansehen bei ihrer Arbeitgeberin.

Bis 1. Januar will Yeshi ihren eigenen YouTube-Kanal mit nepalesischen Kinderliedern starten, ganz im Montessori- und Waldorf-Stil: ohne Animationen, mit klarem Hintergrund und Kleidung in Rot, Gelb oder Blau. Gemeinsam wollen wir auch Erfahrungen und Geschichten anderer nepalesischer Jugendlicher und Erwachsener aufschreiben.

Der große Einfluss von Bestätigung und Wertschätzung auf das Selbstbild eines Menschen fasziniert mich. Einen Menschen zu lieben und ihm zu sagen, dass es schön ist, dass es ihn gibt, kostet nichts, schenkt aber so viel. Wie würde unsere Welt nur aussehen, wenn alle Eltern ihren Kindern von Kindesbeinen an diese Wertschätzung schenken würden?

Ich fliege mit einem guten Gefühl nach Hause. Es ist kein Abschied, sondern ein Schritt in eine Zukunft voller Hoffnung und Möglichkeiten. Die Reise geht weiter.


Yeshi: Departure into a new life

The sun is low in the sky over Cyprus and the gentle waves of the sea whisper their constant melody. My gaze wanders over the endless blue, while thoughts of the last two weeks linger in my mind. This trip was a turning point.

In the morning, Yeshi spoke to Surendra Lama, her mother’s first husband and headmaster of a public school in Nepal. A man whose story has cast a shadow over Yeshi’s childhood – a tragedy I described in my first blog post ‘Yeshi: From suffering to self-determination’. But today he was a source of hope. He explained to her how she could repeat her 10th grade graduation in order to receive an accurate diploma. The current school year has been running for seven months, and the exam would be in five more months. She had already graduated in 2016 – under a false identity.

At lunchtime, Yeshi spoke to the head of the Montessori kindergarten, who was surprised that Yeshi was asking for a new job. She remembered Yeshi’s enthusiasm for going to Cyprus and could hardly believe the obstacles and costs associated with the agency and life abroad. The manager wants to get in touch to see if she can offer Yeshi a job in the near future or in a year and a half.

Yeshi feels that her lack of a school-leaving certificate has been exploited by the Montessori kindergarten in the past to force her to work more overtime. She is convinced that this problem will no longer exist in the future.

A third interview took place with her employer here in Cyprus, her ‘lady boss’. Contrary to all expectations, it went well. Yeshi explained that the loan for the placement agency had been repaid and that she now wanted to concentrate on her professional future. This includes finishing school first. The employer responded positively and encouraged Yeshi to consistently pursue her goals in small steps, save her money, not transfer everything to Nepal and stay until the end of her contract in 2026. With her goals and plans, she clearly gained the respect of her employer.

By 1 January, Yeshi wants to launch her own YouTube channel with Nepalese children’s songs, entirely in the Montessori and Waldorf style: without animations, with a clear background and clothing in red, yellow or blue. Together we also want to record the experiences and stories of other Nepalese young people and adults.

I am fascinated by the great influence of affirmation and appreciation on a person’s self-image. Loving a person and telling them that it is nice that they exist costs nothing, but gives so much. What would our world look like if all parents gave their children this appreciation from an early age?

I’m flying home with a good feeling. It is not a farewell, but a step into a future full of hope and possibilities. The journey continues.