Yeshi – Eine Frau zwischen Welten

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Hier in Zypern, umgeben von Sonne und Wärme, schreibe ich die Geschichte einer Frau, die mein Leben und das meiner Familie auf besondere Weise berührt hat. Yeshi und Lekshey lebten bis vor kurzem im Kloster in Nepal, das meine Familie finanziell und materiell unterstützte. Yeshi verließ das Kloster 2017, um ein neues Leben zu beginnen, während Lekshey noch bis 2021 blieb. In den Jahren, die folgten, unterstützten wir auch Yeshis Familie direkt und bekamen Einblicke in ihr Leben, ihre Herausforderungen und ihre Hoffnungen.

Irgendwann entschieden wir uns, die finanzielle Unterstützung einzustellen – in der Hoffnung, dass Yeshi ihren eigenen Weg in die Selbstständigkeit finden würde. Doch ihre Geschichte ließ uns nie ganz los, und manche Wendungen schockierten uns, wie das Bild ihres zukünftigen Ehemanns, das sie uns schickte. „Der sieht genauso aus wie ihr Vater,“ meinte meine Frau, „ein Alkoholiker.“ Es schien, als könne Yeshi der Prägung ihrer Vergangenheit nicht entkommen.

Doch kürzlich hörte ich von Lekshey, dass Yeshi nun auf Zypern lebt und hier als Hausangestellte arbeitet. Da war mein Entschluss gefasst: Ich wollte sie beide noch einmal treffen und verstehen, wie sie sich ein Leben außerhalb des Klosters und fern ihrer Heimat aufbauen.

Nun sitze ich hier, als Rentner mit einer neuen Aufgabe. Anstatt Geld zu schicken, möchte ich Yeshi durch das Erzählen ihrer Geschichte unterstützen – einer Geschichte, die das Spannungsfeld zwischen Tradition und Selbstbestimmung zeigt und von einem Leben erzählt, das uns mehr lehren kann als jede Story über Sternchen und Stars.

Yeshi lebt in einem Spannungsfeld aus Tradition und der Hoffnung auf ein freies, selbstbestimmtes Leben. Sie trägt die Last eines Systems, das über Generationen hinweg ihre Rolle als Unberührbare festgeschrieben hat, und zugleich den Mut, diesen Grenzen zu entfliehen. Ihre Geschichte beginnt in einem kleinen Dorf in Nepal, wo das Kastensystem tief in der Gesellschaft verwurzelt ist, ungeachtet aller gesetzlichen Verbote.

„Die Dinge haben sich nicht geändert,“ sagt Yeshi. „Mein Familienname verrät jedem sofort, wer ich bin und wie ich behandelt werden soll.“ Es ist ein unausgesprochenes Gesetz, das nicht nur ihr Leben in Nepal geprägt hat, sondern auch ihre Entscheidung, das Land zu verlassen. Während in ihrem Heimatland der Status der Unberührbaren stigmatisiert, sichert ihr das Kastensystem zumindest das soziale Netz der Familie. Doch mit dem ständigen Kampf um gesellschaftliche Anerkennung und ökonomische Sicherheit bleibt es ein System, das ihr kaum eine Chance lässt, ein eigenständiges Leben aufzubauen.

Ihre Flucht aus Nepal war mehr als nur die Suche nach besseren Verdienstmöglichkeiten. Yeshi verließ ihre Heimat auch, um aus einer Welt auszubrechen, in der Frauen durch patriarchale Normen und ökonomische Abhängigkeit eingeengt werden. Viele Leser meines ersten Beitrags über Yeshi waren bewegt von ihrer Geschichte und gleichzeitig irritiert. Sie fragten sich, wie jemand so voller Lebenskraft dennoch gezwungen ist, seine Heimat zu verlassen. Einige sahen in ihrer Flucht nur den Wunsch, materiellen Wohlstand zu erlangen, ohne die tiefen strukturellen Zwänge zu verstehen, die Menschen wie Yeshi in den Westen treiben.

Yeshi weiß, dass viele Menschen in westlichen Ländern die Herausforderungen und die Hoffnungen der nepalesischen Frauen oft falsch verstehen. „Ihr glaubt, wir kommen nur wegen des Geldes,“ sagt sie. „Aber es geht um viel mehr. Es geht darum, ein Leben zu leben, das ich selbst bestimmen kann.“ Doch dieser Weg ist alles andere als einfach. Auf Zypern arbeitet sie als „Domestic Worker“, in einer Rolle, die immer noch durch die alte Ordnung von Hierarchien und Abhängigkeit geprägt ist. Auch hier stößt sie auf Grenzen, wenn sie sich in Gesprächen mit anderen nepalesischen Frauen als Unberührbare zu erkennen gibt. Das Kastensystem hat sie begleitet, tausende Kilometer von Nepal entfernt.

Gestern besuchten wir das Museum des Kykkos-Klosters, wo das Idealbild der Frau, wie es die Religionen über Jahrhunderte festgeschrieben haben, zum Greifen nah ist. Die Ikonen der Jungfrau Maria, dargestellt als gütige Mutter, die sich um ihr Kind kümmert, reflektieren das Bild einer Frau, die sich der Familie und Fürsorge widmet. „Religionen sind von Männern gemacht,“ bemerkte ich, „und das Bild der Frau, das sie zeichnen, prägt die Kulturen bis heute.“ Yeshi nickte nachdenklich. Selbst hier, in einer westlichen Gesellschaft, beobachtet sie, dass viele Frauen sich in Konflikten ihren Männern unterordnen, anstatt ihre eigene Position zu behaupten.

Doch Yeshi hat auch andere Vorbilder. Sie zeigt mir Bilder auf ihrem Handy von der Gründerin des Montessori-Kindergartens, in dem sie in Nepal gearbeitet hat. „Sie ist eine starke, selbstbewusste Frau,“ sagt Yeshi mit einem Anflug von Stolz. „Die Leute nennen sie bossy, herrisch, wenn sie ihre Meinung durchsetzt – doch sie weiß, was sie will.“ Diese Frau, die sich in einer Gesellschaft behauptet, in der Frauen traditionell als gefügig und still gelten, ist für Yeshi ein lebendiges Beispiel dafür, wie ein anderes Leben möglich sein könnte.

Für Yeshi sind solche Frauen ein Zeichen der Hoffnung. Doch sie weiß auch um die Kraft, die es braucht, um gegen die patriarchale Ordnung zu kämpfen. „Es kostet Mut, sich Gehör zu verschaffen,“ sagt sie leise. „Es ist schwer, sich gegen ein System zu stellen, das Frauen klein hält, und noch schwerer, wenn man niemanden hat, der einem den Rücken stärkt.“ Yeshi lebt in einem ständigen Spannungsverhältnis: Sie bewundert die Stärke von Frauen, die für ihre Überzeugungen eintreten, und doch sieht sie die Grenzen, die ihnen auferlegt sind. Selbstbestimmung, ja, aber zu welchem Preis? Das Kastensystem und die Traditionen fordern ihr ihren Tribut ab – nicht nur in Nepal, sondern auch hier in einem fremden Land.

Diese Zerrissenheit ist für Yeshi ein ständiger Begleiter. Einerseits möchte sie das Ideal der selbstbestimmten Frau leben, andererseits kann sie die Bindungen zu ihrer Familie und ihrer Herkunft nicht einfach abstreifen. Sie schickt Geld nach Nepal, unterstützt ihre Mutter und trägt die Verantwortung, die ihr als älteste Tochter zufällt. Sie opfert sich für die Familie auf, so wie sie es gelernt hat. Und zugleich träumt sie von einem Leben, das mehr ist als nur ein Dienst für andere.

Es ist der stille Aufbruch einer Frau, die an die Grenzen ihrer Kultur stößt und dennoch versucht, sich ein eigenes Leben aufzubauen. Yeshis Geschichte zeigt, wie komplex das Streben nach Freiheit in einer Welt ist, die von ungleichen Chancen geprägt ist. Ihr Weg ist ein Balanceakt – zwischen der Verpflichtung zur Familie und dem Verlangen nach einem Leben in Würde und Selbstbestimmung. „Manchmal glaube ich, dass ich immer die Dienerin anderer sein werde,“ sagt sie. „Doch dann denke ich an Frauen wie die Gründerin meines Kindergartens und weiß, dass ich auch anders leben könnte.“

Yeshis Geschichte ist eine Erinnerung daran, dass wahre Freiheit nicht nur darin liegt, einen Job in der Ferne zu finden oder finanzielle Sicherheit zu erlangen. Sie liegt in der Möglichkeit, sich selbst zu entfalten, sich aus starren Strukturen zu befreien und das eigene Leben mit Würde und Selbstbestimmung zu gestalten. Für Yeshi bleibt es ein langer Weg, doch sie geht ihn Schritt für Schritt – getragen von der Hoffnung, dass ein Leben jenseits der Zwänge von Kaste und Tradition möglich ist.


Yeshi – A woman between worlds

Here in Cyprus, surrounded by sun and warmth, I am writing the story of a woman who has touched my life and that of my family in a special way. Yeshi and Lekshey lived until recently in the monastery in Nepal that supported my family financially and materially. Yeshi left the monastery in 2017 to start a new life, while Lekshey stayed until 2021. In the years that followed, we also supported Yeshi’s family directly and gained insights into their lives, their challenges and their hopes.

At some point, we decided to stop the financial support – in the hope that Yeshi would find her own way to independence. But her story never quite let us go, and some of the twists and turns shocked us, like the picture of her future husband that she sent us. ‘He looks just like her father,’ my wife said, ’an alcoholic.’ It seemed Yeshi couldn’t escape the imprint of her past.

But recently I heard from Lekshey that Yeshi is now living in Cyprus and working here as a domestic worker. My mind was made up: I wanted to meet them both again and understand how they were building a life outside the monastery and away from their homeland.

Now I’m sitting here as a pensioner with a new task. Instead of sending money, I want to support Yeshi by telling her story – a story that shows the tension between tradition and self-determination and tells of a life that can teach us more than any story about starlets and celebrities.

Yeshi lives in a field of tension between tradition and the hope of a free, self-determined life. She carries the burden of a system that for generations has defined her role as untouchable, and at the same time the courage to escape these boundaries. Her story begins in a small village in Nepal, where the caste system is deeply rooted in society, despite all legal prohibitions.

‘Things haven’t changed,’ says Yeshi. ‘My surname immediately tells everyone who I am and how I should be treated.’ It is an unspoken law that has not only shaped her life in Nepal, but also her decision to leave the country. While the untouchable status stigmatises her in her home country, the caste system at least secures her family’s social network. However, with the constant struggle for social recognition and economic security, it remains a system that gives her little chance of building an independent life.

Her flight from Nepal was more than just a search for better earning opportunities. Yeshi also left her home country to break out of a world where women are constrained by patriarchal norms and economic dependence. Many readers of my first article about Yeshi were moved by her story and at the same time irritated. They wondered how someone so full of vitality could be forced to leave her home. Some saw her flight as merely a desire to gain material wealth, without understanding the deep structural pressures that drive people like Yeshi to the West.

Yeshi knows that many people in Western countries often misunderstand the challenges and aspirations of Nepalese women. ‘They think we only come for the money,’ she says, ’but it’s about much more. It’s about living a life that I can determine for myself.’ But this path is anything but easy. In Cyprus, she works as a ‘domestic worker’, in a role that is still characterised by the old order of hierarchies and dependency. Here, too, she comes up against limits when she recognises herself as an untouchable in conversations with other Nepalese women. The caste system has accompanied her, thousands of kilometres away from Nepal.

Yesterday we visited the museum of the Kykkos monastery, where the ideal image of women, as laid down by the religions over the centuries, is within our grasp. The icons of the Virgin Mary, depicted as a kind mother caring for her child, reflect the image of a woman dedicated to family and care. ‘Religions are made by men,’ I remarked, ’and the image of women that they portray still characterises cultures today.’ Yeshi nodded thoughtfully. Even here, in a Western society, she observes that many women subordinate themselves to their husbands in conflicts instead of asserting their own position.

But Yeshi also has other role models. She shows me pictures on her mobile phone of the founder of the Montessori kindergarten where she worked in Nepal. ‘She is a strong, self-confident woman,’ says Yeshi with a touch of pride. ‘People call her bossy when she gets her way – but she knows what she wants.’ This woman, who stands her ground in a society where women are traditionally seen as submissive and quiet, is a living example for Yeshi of how a different life could be possible.

For Yeshi, such women are a sign of hope. But she also recognises the strength it takes to fight against the patriarchal order. ‘It takes courage to make your voice heard,’ she says quietly. ‘It’s hard to stand up to a system that keeps women down, and even harder if you don’t have anyone to back you up.’ Yeshi lives in a constant state of tension: she admires the strength of women who stand up for their convictions, and yet she recognises the limits that are imposed on them. Self-determination, yes, but at what cost? The caste system and traditions take their toll on her – not only in Nepal, but also here in a foreign country.

This conflict is a constant companion for Yeshi. On the one hand, she wants to live the ideal of the self-determined woman, but on the other, she cannot simply let go of her ties to her family and her origins. She sends money to Nepal, supports her mother and bears the responsibility that falls to her as the eldest daughter. She sacrifices herself for the family, just as she has learnt to do. At the same time, she dreams of a life that is more than just serving others.

It is the quiet departure of a woman who comes up against the limits of her culture and yet tries to build a life of her own. Yeshi’s story shows the complexity of striving for freedom in a world characterised by unequal opportunities. Her path is a balancing act – between the obligation to her family and the desire for a life of dignity and self-determination. ‘Sometimes I think I will always be the servant of others,’ she says, ’but then I think of women like the founder of my kindergarten and realise that I could live differently.’

Yeshi’s story is a reminder that true freedom lies not only in finding a job far away or achieving financial security. It lies in the opportunity to develop yourself, to free yourself from rigid structures and to shape your own life with dignity and self-determination. It remains a long road for Yeshi, but she is taking it step by step – carried by the hope that a life beyond the constraints of caste and tradition is possible.