Ranthambhore – Agra

Sonntag, 6:15 Uhr. In der Hotellobby warten Gäste auf ihre Safari-Fahrzeuge. Draußen montiert ein Kameramann seine Ausrüstung auf einem Maruti Suzuki Gypsy und schützt sie die empfindliche Optik mit einem Handtuch vor Staub.

Mein Gypsy steht bereit für die letzte Safari auf dieser Reise, diesmal in Zone 3. Hier leben ein Tigermann und eine Tigerfrau, erklärt mein Guide.

Vor der Einfahrt in Zone 3 passieren wir einen Tempel und ein Fort. Pilger und Touristen sind auf der Straße und parken ihre Motorräder und Autos auf beiden Seiten der schmalen Zufahrt.

Der Fahrer manövriert den Jeep vorbei an Menschen, Kühen, Büffeln, Wildschweinen und Affen.

Die Morgensonne zeichnet lange Schatten von Gräsern, Büschen und Bäumen. Den ersten Fotostopp legen wir an einem See ein. Acht Krokodile lassen sich im Wasser treiben. Kormorane jagen Fische.

Axishirsche warnen vor dem Tiger. Wir fahren in die Richtung, aus der der Alarmruf schallt, schalten den Motor ab und warten lange. Bald verstummen auch die anderen Insassen des Jeeps. Die Sonne kleidet die Stille in warmes Licht. Nur selten ertönt der Gesang eines Vogels.

Eine intelligente Person schrieb mir heute Nacht über ihre Emotionen. Hier im Dschungel überleben Tiere und Menschen dank Emotionen, sofern sie dem Gebrabbel ihres Gehirns Einhalt gebieten. Die Ursache emotionaler Probleme sind die Geschichten, die wir uns unablässig erzählen und die unsere Emotionen für bahre Münze nehmen. Menschen sind narrative Wesen – Geschichtenerzähler.

Tierfilmer brauchen Geduld und bequeme Sitze
Tierfilmer brauchen Geduld und bequeme Sitze

Wenige Meter vor uns steht der Jeep des Kamerateams von heute Morgen. Seit 25 Tagen fahren sie täglich zweimal in den Park und begegneten bis heute Morgen sechs Tigern. Sie drehen eine Dokumentation für National Geographic. Tierfilmer müssen geduldig sein.

Mein Hintermann wird ungeduldig und redet auf den Fahrer ein. Daraufhin fahren wir etwas weiter. Uns kommen andere Fahrzeuge entgegen. Niemand hat einen Tiger gesehen. Wir machen kehrt und fahren zurück an den Ort, an dem immer noch das Kamerateam steht.

Ich genieße die Stille, dränge Gedanken beiseite und spüre, wie sich meine Sinne weiten. Herrlich. Ich würde gerne aussteigen und mich in den Wald setzen und lauschen. Was aber, wenn der Tiger vor mir steht? Ich bleibe sitzen.

Tigerbird
Tigerbird

Wir geben auf. Fahren an einen weiteren See. Eine Eule beobachtet uns von ihrem Ast. Daneben ein „Tigervogel“ – mit den Farben des Tigers. Eine Wildschweinbache wacht über ihren Nachwuchs.

Wir verlassen Zone 3 und zwängen uns durch die Besucher des Tempels und des Forts. Plötzlich bleiben die Jeeps vor uns stehen. Auch unser Fahrer hält an und lauscht. Languren und Hirsche warnen. Der Tiger muss hier irgendwo sein. Gleich in der Nähe unzähliger Menschen.

Hier muss der Tiger sein
Hier muss der Tiger sein

Ich solle im März / April wiederkommen. Dann würden die Tiger zu den Wasserstellen kommen, was Sichtungen wahrscheinlicher macht. Diesen Rat geben mir der Guide, Swaroop und Jinson, der an zwei Tagen zwei Tiger und einen Leoparden fotografieren konnte.

Beim Guide bedanke ich mich mit einem Trinkgeld. Die Safari-Fahrer und -Führer verdienen rund 600 Rupien (€ 7,50) pro Fahrt und Tag.

Zurück im Hotel frühstücke ich und packe meinen Koffer. Swaroop verabschiedet sich von mir. Sie möchte rechtzeitig am Flughafen sein. Ich bedanke mich für die Organisation meiner Reise und verspreche, so bald wie möglich zurückzukommen. Mit Jinson trinke ich im Hotelgarten noch einen Kaffee. Dann steht auch mein Fahrer vor der Tür.

Ein Hotelangestellter reicht mir ein Lunchpaket. Der Koffer wird eingeladen und die Fahrt nach Agra startet um 13:00 Uhr. Sie soll mindestens fünf Stunden dauern.