Von Munnar nach Kumarakom

Der Blick auf die Uhr verrät „8:09 Uhr“. Ich springe aus dem Bett, bereite die Rasur vor und da klingelt auch schon das Telefon: „Breakfast is ready.“ Ich hätte verschlafen, antworte ich und sei auf dem Weg. Die Blutegelwunde vom Vortag ist kaum noch zu sehen. Das Duschwasser wird langsam warm. Abtrocknen, anziehen, die herumliegenden Sachen in den Koffer, und dann schnell zum Frühstück. Obstsalat, Smoothie, Omelett, Toast, Butter und Marmelade. Außer dem nepalesischem Koch und seinem Kollegen ist niemand im Frühstücksraum. Mit dem Nepali tausche ich ein paar Namen von nepalesischen Freunden aus. Er kennt niemanden. Vor 25 Jahren hatte er Kathmandu verlassen.

9:20 Uhr. Sabus Auto ist abfahrtbereit. Nochmal ins Haus. Zähneputzen. Die letzten Dinge verstauen. Fertig. Um 9:40 Uhr verlässt der Wagen das Ambassador Estate.

Ich laufe ein Stück und fotografiere die Früchte der wild wachsenden Kaffeepflanzen. Affen pflücken die Früchte, essen die roten Schalen und spucken die Kaffeebohnen aus. An der Stelle wächst oft wieder eine neue Kaffeepflanze. Sabu beklagt, dass der Eigentümer vom Ambassador Estate die Gärten verwildern lässt. Alles würde durcheinander wachsen.

Kaffeebohnen
Kaffeebohnen

Sabu will eine Nebenstrecke nach Kochi und weiter nach Kumarakom nehmen. Fünf Stunden soll die Fahrt dauern. Wieder führt sie durch einen natürlichen botanischen Garten. Wieder staune ich.

Geschlossene Frucht mit Muskatnuss
Geschlossene Frucht mit Muskatnuss

Sabu hält an einem Baum. Ob ich die Früchte kenne, will er wissen. Keine Ahnung. Der Eigentümer beobachtet uns kritisch. Sabu erklärt, dass ich nur fotografieren möchte. Er findet eine aufgesprungene Frucht und zeigt mir ihren schwarzen Kern mit roter Ummantelung. Dabei wiederholt er den Namen in Mayalayam. Das Internet identifiziert die Muskatnuss. Sabu darf die Nuss behalten.

Muskatnuss
Muskatnuss

Ob ich schwarzen Pfeffer kenne, will Sabu als nächstes wissen. Natürlich. Wer kennt keinen schwarzen Pfeffer. 10 Minuten später hält Sabu am nächsten Baum. Ruft nach dem Besitzer. Der lässt sich nicht blicken.

Schwarzer Pfeffer
Schwarzer Pfeffer

Dann zeigt er auf einen Gummibaum, an dem eine Kletterpflanze mit kleinen, schwarzen Ähren rankt. Pfeffer – das einstige schwarze Gold, für das West-Europäer Menschen töteten und unterdrückten.

Grüne Kapseln mit Kardamom-Samen
Grüne Kapseln mit Kardamom-Samen

Sabu zeigt auf eine zwei bis drei Meter hohe Pflanze mit großen Blättern, deutet dann aber auf völlig unscheinbare Blüten an einem am Boden liegenden Seitentrieb. Neben den Blüten wachsen grüne Kapseln. Diese enthalten die Kardamom-Samen.

Paradiesische Landschaft
Paradiesische Landschaft

Unterwegs bitte ich Sabu immer wieder um einen Fotostopp. Ich laufe zurück und vor. Welche Perspektive ich auch wähle, die Emotionen vermag ich nicht in Fotografien zu konservieren. Einmal grüßt mich ein junges Paar von ihrem etwas erhöht liegenden und von Büschen und Bäumen verdeckten Haus. Die gleichen Fragen. Die gleichen Antworten. Wunderschöne Menschen. Die Pausen werden immer länger.

Kakao-Bohnen
Kakao-Bohnen

Wir kommen in ein Dorf. Aus einem Schornstein steigt beißender, dunkler Rauch auf. Gegenüber liegen auf einer Plane Kakaobohnen in der Sonne. Sabu hält. Während er in einem kleinen Laden auf frischen Kaffee wartet, suche ich nach Motiven. Zurück am Laden reicht uns die Besitzerin zwei Gläser mit schwarzem Kaffee, in dem zwei Kardamom-Samen schwimmen. Alles Bio und aus dem eigenen Garten.

Frischer (!) indischer Kaffee mit Kardamom
Frischer (!) indischer Kaffee mit Kardamom

Anderthalb Stunden später hält Sabu an einem Ananas-Laden. Er bestellt Saft, ich bevorzuge Stücke. Mit einem großen Messer löst der Ladenbesitzer geschickt die Schale, teilt die Ananas in kleine Stücke und reicht sie mir. Ein Genuss. Auf der Weiterfahrt kommen wir an mehreren Ananas-Feldern vorbei.

Ananas-Verkäufer mit Lungis
Ananas-Verkäufer mit Lungi

Sabu spricht kurz über die Saris der Frauen und referiert anschließend über Dhotis und Lungis. Damit sind die Beinkleider der Männer gemeint. Die bunten Lungis tragen Männer bei der Arbeit, die weißen Dhotis nur zu besonderen Anlässen. Vor uns fährt ein Mann im Dhoti auf einem Motorroller. „Er hat wahrscheinlich einen Termin bei der Bank“, spekuliert Sabu. Er selber hätte auch einen Dhoti und einen Lungi.

Reisfelder
Reisfelder

Wir kommen an herrschaftlichen Villen vorbei. Eine schöner als die andere. Sie bilden das Tor zu einer weiten, flachen und von Kanälen durchzogenen Landschaft. Reis. Bis zum Horizont nur Reis. Weit und breit kein Schatten. Angeblich liegt die Temperatur bei nur 30°C. Entsprechend hoch ist die Luftfeuchtigkeit. Die unreifen Pflanzen stehen im Wasser und werden von Frauen gepflegt. Die Felder der reifen Pflanzen tragen selbst einen Mähdrescher, der den Reis an mehreren Stellen am Feldrand aufhäuft, wo ihn Männer in Säcke füllen und auf LKWs laden.

Wir biegen in die Einfahrt zum Waterscapes Backwaters Resort ein. Sabu erkundigt sich, ob das Zimmer für mich reserviert sei. Unsere Wege trennen sich. Umarmung. Trinkgeld. Sechs Tage mit einem mit Keralas Natur und Kultur aufs engste verbundenen Sabu liegen hinter mir. Sechs Tage mit einem an allem interessierten Deutschen liegen hinter Sabu.

Meine Bleibe für drei Nächte
Meine Bleibe für drei Nächte

Ich checke ein. Ein Golf-Cart bringt mich zu meinem Haus mit Blick auf den Vembanad-Lake. Ich drehe eine Runde und flüchte vor dem nächsten Starkregen.

Auf dem Bett lasse ich mir vom iPad den ZEIT-Artikel über Elon Musk, Twitter und den abspringenden Werbekunden vorlesen und wache auf, als die Sonne schon fast im See versunken ist. Zwei, drei Fotos gelingen mir dennoch.