Day at leisure – Tag zur freien Verfügung

Ursprünglich wollte ich in den ersten zwei Wochen meiner Indien-Reise nur faulenzen und „mich selbst finden“. Vor meinem geistigen Augen sah ich mich in Kerala täglich in einem Hausboot, das von morgens bis abends durch die Backwaters schaukelt und mich dabei ganz leise in den Schlaf wiegt. Tag für Tag.

Meiner indischen Freundin, die diese Reise für mich arrangiert hat, teilte ich genau diesen Wunsch mit. Sie konterte für Kerala mit zwei Angeboten: eine Woche Freizeit oder eine Woche mit Programm an drei verschiedenen Orten. Ich entschied mich für letzteres.

Heute wünschte ich mir nur noch Ruhe. Dennoch setzte ich mich nach dem Frühstück wieder in Sabus Auto und überließ ihm die Zielauswahl.

Flowermarket. Sabu hatte beobachtet, wie ich immer wieder Blumen fotografierte. Wir fahren los, durch Munnar, an Tee-Fabriken vorbei und kommen nach einiger Zeit an eine Stelle, an der auf beiden Seiten parkende Autos die Fahrbahn verengen. Links stehen Buden mit Snacks und Souvenirs. Rechts stehen Menschen vor einem vergitterten Häuschen.

Flowermarket
Flowermarket

Es ist der „Flowermarket“. Sabu wartet im Auto. Ich investiere 50 Rupien (ca. € 0,60) in eine Eintrittskarte und bin umgeben von Blumen und Kakteen, wie ich sie aus deutschen Blumenläden und Wohnzimmern kenne. Scheinbar stammen die Pflanzen aus diesen Breiten. Sie geben wunderbare Motive für das Makro-Objektiv ab.

Weiter geht‘s. Unterwegs möchte ich noch ein Foto von den am Rande von Tee-Plantagen stehenden Eukalyptus-Bäumen machen.

Eukalyptus-Bäume
Eukalyptus-Bäume

Sabu steuert die Mattupetty-Talsperre an. „Sie wurde von Briten gebaut“. Für einen Sauerländer sind Talsperren nun wirklich nichts außergewöhnliches. Sabu lässt mich vor dem Staudamm aussteigen. Er will auf der anderen Seite auf mich warten. Irgendwie schaffe ich es, den Damm zu queren, ohne von einem hupenden Tuk-Tuk, PKW, Bus oder LKW überfahren zu werden. Mich faszinieren eher die beiden bunten, mit Eukalyptus-Stämmen haushoch beladenen Trucks.

Echt Könner, diese LKW-Fahrer
Echt Könner, diese LKW-Fahrer

Nein, den „Echo Point“ der Talsperre mag ich mir nicht anschauen und erwähne auch nicht die Echowand vom Königssee. Wir fahren weiter.

Nein, den Markt in Alt-Munnar will ich mir auch nicht anschauen. Ich will einfach nur durch eine Teeplantage gehen. Ob ich laufen könne, will Sabu wissen. Na klar, gebe ich zur Antwort. Gut. Es regnet wieder in Strömen.

Irgendwann biegt Sabu rechts ab. Diesen Weg sind wir nicht gekommen. Ich stelle mich auf Neues ein. Sabu ist sich sicher, dass der Regen bald aufhört. Wir fahren einen Berg hoch, parken neben einer Tee-Bude und warten. Und warten. Tatsächlich lässt irgendwann der Regen nach und Sabu deutet auf einen schmalen Weg, den ich mit Schirm und Kamera gehen soll. Er würde warten. Meinen Rucksack mit Smartphone, Pass und Notizblock nehme ich mit. Ich weiß ja nicht, ob ich je wieder zurückfinde.

Während ich langsam mit Schirm, Kamera und Rucksack den Pfad hinuntergehe, ziehen Wolkenschleier durch das Tal. Links und rechts stehen an steilen Hängen unzählige Tee-Bäume. Ich gehe weiter und komme mit jedem Schritt in immer kräftigeres und saftigeres Grün. Zwischen all den Teebäumen ragen mächtige, glattgeschliffene Felsen hervor. Ich gehe weiter, immer weiter. An zwei Stellen muss ich Bäche überqueren, die der Regen soeben gebildet hat. Inzwischen regnet es nicht mehr. Ich klappe den Schirm zusammen. Jetzt singen die Vögel. Viele Vögel. Den Klang nehme ich mit dem Smartphone auf. Ich fotografiere wie wild. Bleibe an einem Teebaum stehen und schaue ihn mir genau an. Verwende etwas Zeit darauf, die drei Blätter zu fotografieren, aus denen wir Tee herstellen. Weiter. Immer weiter. Ich kann nicht umkehren. Ich erreiche ein Haus. Schaue mich noch ein wenig um und beschließe dann doch, zurückzugehen. Sabu wird sich vielleicht Sorgen machen. Wieder fotografiere ich wie besessen. Dabei kann kein Foto das überwältigende Gefühl beschreiben. Nein, es war keine spirituelle Erfahrung. Wir lassen uns von hautnah erlebter Natur begeistern. Hautnah eben, auch ohne Geister.

Der Tee-Buden-Besitzer
Der Tee-Buden-Besitzer

Ich weiß nicht, wie lange ich unterwegs war. Es muss über eine Stunde gewesen sein. Sabu unterhält sich mit dem Besitzer der Tee-Bude. Ich nehme das Angebot für einen Milchtee an. Köstlich. Wir reden über Belangloses. Freuen uns einfach nur, dass es uns gibt. Dem Besitzer der Tee-Bude gebe ich den Link zu meinem Reiseblog. Er zeigt auf sein Nokia-Handy. „Ich habe kein Internet.“

Sein Welpe will sich von mir fotografieren lassen, ist aber so wild, dass der Autofokus meiner Kamera versagt.

Die Tee-Buden-Welpin
Die Tee-Buden-Welpin

Am Ende beißt die kleine Hundedame Sabu noch in die Ferse. Dann verabschieden wir uns und gehen zum Auto.

„Sabu, ich will zurück zum Hotel.“