Angekommen

Um kurz vor acht landet das Emirates-Flugzeug in Kochi. Nach Pass- und Zollkontrolle erwarten mich vor der Ankunftshalle Mr. Sanju, der Reiseführer, und Sabu, der Fahrer. Während der Fahrt zum 48 km entfernten Hotel besprechen wir einzelne Aktivitäten der kommenden Woche.

Mr. Sanju erklärt, dass der Flughafen Keralas ganzer Stolz ist. Er wird seit sieben oder acht Jahren ausschließlich mit Sonnenenergie betrieben. Tatsächlich sind der Flughafen, die Parkplätze und angrenzende Grünflächen mit Solarzellen gepflastert.

Mr. Sanju und Sabu erklären, dass die Menschen in Kerala gebildet seien, wofür auch die Sauberkeit auf den Straßen ein Indiz ist. Achtloses Wegwerfen von Müll wird empfindlich bestraft. Tatsächlich sehe ich kaum Müll auf den Straßen.

Mr. Sanju zeigt mir ein Bild von seinem sechs Monate alten Säugling. Mit sechs Monaten wird die Umstellung auf feste Nahrung gefeiert. Er hätte seinem Sohn Reis gegeben und es hätte funktioniert.

Auf unserer Fahrt quer durch die Stadt kommen wir an vielen christlichen Kirchen vorbei. Mr. Sanju erklärt, dass er und Sabu katholisch seien und dass es in Kerala keine Religionskonflikte gäbe. Der „ungläubige Thomas“ habe sich vor 2.000 Jahren in Kerala versteckt. Sein Grab läge hier. Jeder Stadtteil von Kochi sei entweder muslimisch, hinduistisch oder katholisch. Die Katholiken seien in Kerala in der Minderzahl, aber in Kochi gäbe es viele von ihnen.

Kerala hat eine eigene Sprache: Mayalayam. Der Name der Sprache liest sich vorwärts wie rückwärts gleich, was mir das Aussprechen des Zungenbrechers nicht leichter macht. Hindi hätte er während seines Aufenthaltes in Dubai gelernt, erklärt Mr. Sanju. Zum Glück sprechen er und Sabu Englisch.

Wir queren eine Brücke über ein Gewässer des Backwaters-Systems und gelangen auf eine Insel. Die Insel wurde künstlich angelegt und ist im Besitz der Marine. So schön die Insel auch ist, Privathäuser findet man hier nicht. Während wir die Insel über die nächste Brücke wieder verlassen, weist Mr. Sanju auf die Größe des Hafens und auf ein riesiges Schiff hin. Kochi sei der zweitgrößte Hafen Indiens. Und das riesige Schiff sei der funkelnagelneue Flugzeugträger. Ursprünglich hätte die Marine den Flugzeugträger im Ausland kaufen wollen, dann aber eine indische Werft mit dem Bau beauftragt.

Ab November sollen insgesamt 42 Kreuzfahrtschiffe den Hafen von Kochi anlaufen. „Wir brauchen die Touristen“, sagt Mr. Sanju.

Nach einer Stunde erreichen wir das Koder Haus – meine Bleibe für zwei Nächte. Das Hotel wurde vor über 200 Jahren von Samuel Koder und seiner Familie gegründet. 1947 verließ die jüdische Familie fast vollständig Kerala und zog nach Israel. In dem Jahr zogen sich die Briten aus Indien zurück, wodurch die allermeisten Koders ihre Arbeitsstellen verloren. Ein Koder-Familienmitglied blieb und führte das Hotel weiter.

Auf den Flügen nach Kochi konnte ich nur wenig schlafen. Daher legte ich mich gleich ins Bett und schlief bis zum Nachmittag. Um 15:00 Uhr machte ich mich auf den Weg zum nahegelegenen Strand.

Unterwegs sprechen mich junge und alte Leute oft auf meine Herkunft an. Gelegentlich entwickelte sich daraus ein kurzes Gespräch.

Auf dem Rückweg betrachte ich lange die mächtigen Bäume auf der anderen Straßenseite des Hotels. Eine Gruppe von sechs, sieben jungen Männern sitzt auf Bänken, während jeder versucht, diese mächtigen Bäume und die Umgebung in eine Zeichnung zu bannen.

Um 17:00 Uhr begleitet mich Sabu zu einer traditionellen Kathakali-Aufführung in einem nahegelegenen hinduistischen Tempel. Eine irdische Dame will für ihren irdischen Bruder im Himmel eine göttliche Frau finden, verliebt sich dabei aber dummerweise in einen göttlichen Mann, der sie für ihre Verliebtheit böse bestraft. Das ganze Schauspiel wird von zwei Männern aufgeführt und von drei Musikern begleitet. Die beiden Schauspieler schminken sich vor aller Augen mit natürlichen Farben. Vor Beginn des Schauspiels erklärt ein Musiker das Gebärden- und Mienenspiel, während es ein Schauspieler sehr zur Freude des Publikums veranschaulicht.

Einer von zwei Kathakali-Tänzern
Einer von zwei Kathakali-Tänzern

Nach dieser Veranstaltung gehe ich ins Freie und werde von ein, zwei Regentropfen überrascht. Gleich nebenan dröhnt lauter Gesang aus einer katholischen Basilika. Das will ich mir anschauen und stehe im nächsten Augenblick in einer Kirche, in der der Rosenkranz gebetet wird. Blau und Weiß dominieren. Aus Lautsprechern schallt der Gesang der Gemeinde weit über das Kirchengelände hinaus auf die Straße.

Als ich die Kirche verlassen will, regnet es in Strömen. Ich setze mich in die vorletzte Bank und will geduldig warten. Nach geraumer Zeit bemerke ich hinter mir eine Inderin. Wir kommen ins Gespräch. Schnell geht es um die Rolle der Religionen in den verschiedenen Kulturen. Seit unserem letzten Urlaub in Malta ist dies mein Thema. Die Inderin argumentiert hervorragend. Ich frage, was ihr Background sei. Sie gibt sich als Professorin für Religionsphilosophie an einer Universität in Texas zu erkennen. Bingo. Der Regen wird stärker, die Blitze heller, der Donner immer lauter. Als kurz vor neun der Regen etwas weniger wird, bittet der Küster die Schutzsuchenden um Verständnis. Er will die Kirche schließen. Wir waten noch ein Stück gemeinsam durch knöcheltiefes Regenwasser, bevor sich unsere Wege trennen.

In meinem Hotel schaufeln Mitarbeiter das Wasser aus dem Eingangsbereich. Sie scheinen darin geübt zu sein. „Das ist der Nachteil, wenn man so nah am Wasser wohnt“, entschuldigt sich der Hotelchef für den feuchten Empfang. Meine Kleidung hänge ich im Badezimmer zum Trocknen auf.