Gott war mit den Gewürzhändlern

Heute Morgen um 7:30 Uhr ist die Luft klar. Die Sao Jorge Insel zeichnet sich deutlich am Horizont ab.

Erfrischende 26°C lassen den Jogger auf dem Strand kräftig schwitzen. Während dessen schreitet Dananjay in aller Ruhe das Ufer des Arabischen Meers ab – seine Morgenroutine. Ich ziehe mich an und eile mit meiner Kamera hinunter zum Strand. So blau waren Himmel und Meer seit meiner Ankunft in Goa nicht.

Der erste Fang
Der erste Fang

Am Ende des Strands liegt ein schlankes Fischerboot mit Ausleger und wird von einem schläfrigen Hund bewacht. Vier Fischer säubern ihr kleines Netz von lediglich sechs kleinen Fischen. Die Madonna mit Kind betrachtet den kläglichen Fang mit sicherem Abstand und von einer Glasscheibe geschützt von ihrer weißen Säule aus. Gott Garnesha schaut teilnahmslos aufs Meer.

Maria hinter Glas und Garnesha am Fuß der Säule
Maria hinter Glas und Garnesha am Fuß der Säule

Auf dem Rückweg spricht mich ein Mann an. Woher ich komme? Was ich mache? Er hätte auch einen Freund in Deutschland – Businessman, am großen Wasser. Mein Gesprächspartner stellt sich als Sunil vor. Er sei seit 26 Jahren Friseur am Bogmallo Beach. Seit Corona hat er nichts mehr zu tun. Die indischen Touristen ließen sich von ihm nicht die Haare schneiden. Er verabschiedet sich von mir und lädt mich zu sich ein.

Sunil, Friseur
Sunil, Friseur

Ich will noch einmal den Strand rauf und runter laufen.

Inzwischen machen die vier Fischer ihr Boot erneut fertig. Diesmal wollen sie das große Netz auswerfen und es im Meer lassen. Auf dem Sand legen sie fünf Bohlen aus, über die sie das Boot zum Wasser schieben. Sobald es auf nur zwei Bohlen ruht, werden die drei freien Bohlen nach vorne gelegt, woraufhin das Boot wieder etwas Näher zur Wasserkante geschoben wird. Vier-, fünfmal wiederholen sie den Vorgang. Drei Fischer nehmen im Boot Platz, einer paddelt, der andere rudert bis zu der Stelle, an der das Netz ins Wasser gelassen werden soll.

Vier Fischer und ihr Boot
Vier Fischer und ihr Boot

Nach dem Frühstück verabschieden wir Shwetas und Ninads Eltern, sie fliegen zurück nach Pune. Anschließend suche ich Sunil, den Friseur von heute Morgen.

Er sieht mich, ruft und besorgt eine Flasche kühles Wasser. Wir setzen uns auf zwei Plastikstühle vor seinem Frisiersalon und reden. Sunil kommt aus Karnataka, dem im Osten an Goa angrenzenden Bundesstaat. Er hat zwei Brüder und drei Schwestern. Sein Vater, ebenfalls Friseur, starb, als er noch ein kleiner Junge war. Danach hielt seine Mutter die Familie über Wasser, indem sie Brennholz für die Reichen verkaufte. Sie sei eines Tages gestürzt, hätte sich ein Bein gebrochen und wäre für sieben Jahre ein Pflegefall gewesen, bevor sie starb. Eine Schule hätte Sunil nie besucht. Lesen, Schreiben brachte er sich selber bei, auch die englische Sprache und das Friseurhandwerk. Sein Englisch ist gut. Erst arbeitete er als Gärtner.

Sunils Frisiersalon
Sunils Frisiersalon

1996 pachtete er den kleinen Friseurladen in Bogmallo Beach. Er säße den ganzen Tag auf der Veranda. Staatliche Hilfe hätte er während der Pandemie nicht erhalten. Er musste seinen Laden für mehrere Monate schließen. Wenn heute ein Einheimischer kommt, zahlt er 50 oder 60 Rupien für einen Haarschnitt oder eine Rasur – gerade mal € 0,75. Eine Familie muss Sunil damit nicht ernähren.

Ein Taxi fährt vor. Der Mann steigt aus und setzt sich ohne viele Worte auf einen der Plastikstühle. Ich frage ihn, wieviel er für eine Fahrt nach Old Goa berechne. Wir sind uns sofort handelseinig. Zum Glück kenne ich bereits die ortsüblichen Preise.

Shrikant ist Vater eines Jungen und eines Mädchens. Seit 25 Jahren fährt er Taxi. Während der Pandemie ruhte das Geschäft für zwei Jahre. Reis und etwas Linsen hätte reichen müssen. Manchmal etwas Gemüse. Zwei Jahre lang. Morgens, mittags, abends. Er ist nicht der Erste, der mir erzählt, wie man mit praktisch Nichts in der Hand überleben kann.

Schon das zweite Schwein
Schon das zweite Schwein

Auf der anderen Straßenseite läuft heute Morgen bereits das zweite Schwein.

Wir erreichen Old Goa, ein Ensemble aus fünf römisch katholischen Kirchen am südlichen Ufer des Flusses Mandovi. Die weiße Pracht der Gotteshäuser erinnert mich an Pisa.

Old Goa
Old Goa

In einer der Kirchen entfaltet die katholische Kirche ihre Geschichte seit 1510. Der Eintritt kostet 20 Rupien. Dafür werden Päpste in übergroßen Portraits gezeigt. In Vitrinen liegen Schriften aus. Und überall Jesus und Maria, letztere stets mit einem seitlich leicht geneigten Haupt, was sie noch unschuldiger erscheinen lässt. Jesus blutet natürlich aus allen erdenklichen Wunden.

Prachtbauten für einen allmächtigen Gott
Prachtbauten für einen allmächtigen Gott

Für einen Moment stelle ich mir vor, wie ich angesichts waffenstarrender Soldaten reagieren würde, in deren Gefolge weiß- oder schwarzgewandete Missionare von einem allmächtigen Gott sprechen. Die Portugiesen machten den Menschen in Goa ein Angebot, das sie nicht ausschlagen konnten.

Sanierung des Convents of St. Monica
Sanierung des Convents of St. Monica

Ich besuche das archäologische Museum, gleich nebenan. Der Eintritt kostet nur 10 Rupien. Dafür dreht sich hier alles um die Geschichte von ca. 3000 v. Chr. bis zur Ankunft der Portugiesen in 1510. Vornehmlich Büsten, Stelen, Heldentafeln mit hinduistischen Motiven. Mich fasziniert die Präzision, mit der unsere Vorfahren Steine behauen haben.

Gut erhaltenes Haus im portugiesischen Kollonialstil
Gut erhaltenes Haus im portugiesischen Kollonialstil

Nach anderthalb Stunden Aufenthalt fährt mich Shrikant nach Panaji, Goas Hauptstadt. Die Fahrt dorthin dauert nur 10 bis 15 Minuten. Auf meinen Wunsch hin hält er nicht an weiteren katholischen Kirchen. Mein Bedarf ist für heute gedeckt.

Gut erhaltenes Haus im portugiesischen Kollonialstil
Gut erhaltenes Haus im portugiesischen Kollonialstil

Ich will aber noch ein paar alte portugiesische Häuser fotografieren. Shrikant fährt mich in ein Stadtviertel mit zahlreichen renovierungsbedürftigen Bauten. 1961 zogen sich die Portugiesen aus Goa zurück und hinterließen u.a. wunderschöne Villen, von denen einige heute bewohnt und gepflegt werden, während andere sich dem Schicksal allen Weltlichen hingegeben haben. Es muss hier einmal ganz schön europäisch ausgesehen haben.