Grenzbegegnung

Sabu fährt mit mir Richtung Eravikulam-Nationalpark, an der Grenze zum Bundesstaat Tamil Nadu und in den Kannan-Devan-Bergen. Zu ihnen zählt Indiens zweithöchster Berg Anamudi (2.695 m). Unterwegs steigt Matthew ins Auto. Er ist seit fünf Jahren Guide und seither fast täglich im Nationalpark unterwegs. Ursprünglich arbeitete er im Steuerfachbereich, aber nach einem halben Jahr wechselte er den Beruf.

Wir fahren durch Teeplantagen. Arbeiterinnen ernten die kostbaren Teeblätter und füllen sie in große Säcke, die sie zu einer Sammelstelle tragen. Sabu meint, ich solle auf der Rückfahrt fotografieren. Matthew verspricht, dass wir später noch ein Tee-Museum besuchen und alles im Detail sehen.

Matthew - mein Guide in Munnar
Matthew – mein Guide in Munnar

Kurze Zeit später erreichen wir den Eingang zum Eravikulam Nationalpark. Sabu bleibt im Auto zurück. Matthew besorgt die Tickets.

Im Eingangsbereich erzählt eine Ausstellung die Geschichte des Nationalparks. Ursprünglich war dies ein ausgeprägtes Jagdgebiet. 1900 gründete sich ein Verein, mit dem Ziel, die Zahl der Nilgiri-Tahrs zu überwachen. 1928 ergab der erste offizielle Tier-Zensus eine Zahl von unter 1.000 Ziegen. Aber erst 1971 wurde das einstige Jagdgebiet zum Nationalpark erklärt – dem ersten in Kerala.

Ohne Worte
Ohne Worte

Bilder zeigen wieder die bereits gewohnten Szenen mit „zivilisierten Kollonialherren“ und eher „unzivilisierten Ureinwohnern“. Ich dachte, dass diese Bilder nur in Deutschland den Deutschen gezeigt werden, um ein schlechtes Bild auf Briten zu werfen. Aber nein, Inder hängen diese Bilder immer noch auf und betrachten sie emotionslos. Was er beim Anblick dieser Bilder empfindet, will ich von Matthew wissen. „Sie haben uns wie Sklaven behandelt. Aber ich habe zum Glück nicht zu der Zeit gelebt.“ Warum muss ich nur wieder an Narrative denken und wie sie die Geschichten von Kulturen formen?

Ein Bus fährt mit uns zu einer drei Kilometer entfernten Stelle, ab der Besucher einen kurzen Weg zu Fuß gehen dürfen.

Matthew warnt vor einem 2 km langen Anstieg. Zum Glück ist der Weg bei weitem nicht so steil, wie zuletzt die Wanderwege in der Cinque Terre. Gemeinsam halten wir Ausschau nach Nilgiri-Tahrs (Ziegen) und Affen. Fotografen mit Teleobjektiven suchen nach seltenen Vögeln. Wir sehen einen, dazu noch zwei Ziegen, ein oder zwei Nilgiri-Languren und in einem Bach eine kleine grüne Giftschlange. „Sie liegt tagelang regungslos dort, bis ihr die Beute vor das Maul fliegt“, erklärt Matthew. „Aber ein Biss von ihr kann schnell zu Lähmungen führen. Jedes Jahr werden einige Teepflückerinnen von ihnen gebissen.“

Unterwegs begrüßt Matthew viele Bekannte. In den letzten fünf Jahren hat er fast alle Park-Mitarbeiter kennengelernt.

Unsere Wanderung endet an einer Schranke und einer Hütte, vor der Matthew mit Mani Kandan ein längeres Gespräch führt. Mani Kandan gehört zu den Ureinwohnern, die weiter oben im Nationalpark leben. Ihre dörfliche Gemeinschaft darf nicht durch Besucher gestört werden. Mani Kandan reicht mir seine Hand. Ich nehme sie an. Er streicht mit den Fingern der anderen Hand über meine innere Handfläche und will wissen, wie ich heiße. Woher ich komme. Viel mehr kann ich nicht verstehen.

Mani Kandan
Mani Kandan

Meine Hand liegt noch immer in seiner. Seine Nähe ist angenehm. Ich frage, ob ich ihn fotografieren darf. Matthew übersetzt. Mani Kandan willigt ein und lässt meine Hand los.

Matthew erklärt, dass die Ureinwohner in der Parkverwaltung arbeiten können. Die Regierung bietet ihnen Unterricht im Lesen und Schreiben an. Und wer will, kann eine richtige Schule besuchen. Beim letzten Zensus hätte man bei den Ureinwohnern 1.200 Frauen und 800 Männer gezählt. Die Frauen ließen sich außerhalb ihrer Gruppen nicht blicken. Nur die Männer würden gelegentlich die Gemeinschaft vorübergehend verlassen.