Ayurveda-Massage

Vom Hotel sind es zu Fuß nur 20 Minuten bis zur Amritha-Ayurveda-Praxis. Frau Dr. Manoharan bittet mich, den Anamnesebogen auszufüllen. Dann stellt sie mir Christian vor. Ein junger Mann, Anfang 20. Ich frage, ob er Christ sei. „Ja, römisch-katholisch.“ In seiner Stimme schwingt ein wenig Stolz.

Christian führt mich in sein Behandlungszimmer. Ich entledige mich aller Kleidung. Zwischendurch legt er mir einen Einmal-Lendenschurz an. Ich setze mich auf einen Hocker. Dann bittet er um meditative Haltung. Auf diverse Stellen meines Körpers trägt er einen Tropfen Öl auf. Reichlich Öl kommt schließlich auf die Schädelplatte, die er anschließend mit seinen kräftigen Fingern minutenlang malträtiert. Rubbeln, reiben, kreisen, massieren. Auf meine Schläfen sieht er es besonders ab. Dann lege ich mich rücklinks auf die Liege. Christian lässt keinen noch so versteckten Winkel meines Gesichts aus, geht aber etwas sanfter vor. Zwischendurch immer reichlich warmes Öl. Er massiert den Körper von oben bis unten und zurück. An Einschlafen ist bei soviel Aktivismus des Masseurs wirklich nicht zu denken. Andere Seite. Der Lendenschurz fällt. Dann wieder – reichlich Öl und kneten von oben bis unten und zurück. Christian schaltet einen Gang höher. Mit heißen Baumwoll-Stampfern bearbeitet er wieder meine Rück- und Vorderseiten. Die Stampfer sind mit Kräutern gefüllt und werden zwischendurch immer wieder in heißes Öl getaucht. Als nächstes soll ich meine Augen schließen, auf die Christian etwas legt. Dann lässt er für geraume Zeit ein Gefäß pendeln, aus dem warmes Öl auf meine Stirn fließt. Meine Gedanken gleiten ab. Schlaf kündigt sich an. Bevor es aber soweit ist, dehnt Christian meine Beine und Füße ein letztes Mal. Es knackt. Dann soll ich mich aufrichten und ein Dampfbad nehmen. Ich betrete das Möbelstück und nehme auf einem Hocker Platz. Daraufhin schließt Christian die vorderen und die oberen Türen mit Öffnung für meinen Kopf. So beobachte ich, wie Christian die Liege und alle Werkzeuge akribisch reinigt. Nach fünf Minuten öffnen sich bei mir sämtliche Poren. Während der heiße Dampf nach oben entweicht, setze ich mit meinem Schweiß die Dampfsauna unter Wasser. Nach 15 Minuten ist auch das vorbei. Christian reicht mir eine Flasche mit Wasser und trocknet mich ab. Ich ziehe mich an. Einen Spiegel suche ich vergeblich. Der Blick auf die Uhr bestätigt die gebuchten zwei Stunden. Duschen soll ich mich erst nach einer Stunde.

Christian ist erst 24 Jahre jung und arbeitet bereits seit sechs Jahren als Ayurveda-Masseur. Er fragt nach meinem Alter. Ich lasse ihn schätzen. Christians Antwort ist mir ein Trinkgeld wert.

Frau Dr. Anuja Manoharan
Frau Dr. Anuja Manoharan

Dann erwartet mich Frau Dr. Anuja Manoharan zum Abschlussgespräch. Geht der Ayurveda nicht einher mit einer gewissen Weltanschauung, konkret mit der des Hinduismus und des Buddhismus, will ich von ihr wissen. Und wie es dann sein könne, dass Christian als Christ den Ayurveda praktiziere. Wieso sie überhaupt den Ayurveda praktiziert. „Eine oft gestellte Frage“, antwortet sie. „Als ich mein Examen machte, wurde ich der Ayurveda-Medizin zugeordnet.“ Es wäre nicht ihre Entscheidung gewesen. Dennoch wäre sie vor allem aufgrund der schonenden Behandlungsformen von dem Ayurveda überzeugt. „Viele Inder können sich die englische Medizin nicht leisten“, womit sie die Evidenz-basierte Medizin meint. Sie berichtet von ihrer Mutter. Sie leide unter Diabetes. Der Ayurveda ermögliche ihr ein gutes Leben ohne kostspielige und mit Nebenwirkungen behaftete englische Medizin. Wir sind uns schnell darin einig, dass unsere Selbstheilungskräfte und die enge Beziehung zwischen Arzt und Patient und dessen Erwartungen von der Behandlung wesentlich für die Gesunderhaltung und Heilung sind.

Die evidenzbasierte Medizin unterliegt vielen ökonomischen Zwängen. „Wenn arme Leute zu uns kommen, erhalten sie von uns unsere Medizin.“ Ich denke an Sanju und an Sabu. Was würde ihnen die beste „englische Medizin“ nutzen, wenn sie sie sich nicht leisten können?

Es ist wie so oft im Leben. Erst Polarisierung lässt verschiedene Weltanschauungen zu Gegnern werden. Das sage ich in Richtung der Naturalisten, Religionsangehörigen und Esoteriker. Hier in Kerala erlebe ich genau das Gegenteil: leben und leben lassen. Hauptsache, meine Weltanschauung macht mich glücklich. Für meinen Nachbarn kann ich nur hoffen, dass ihn seine Weltanschauung glücklich macht.

Zurück im Hotel ruht sich mein Körper drei Stunden lang aus und lässt sich anschließend vom stillen Ruf eines Liegestuhls unter einer Palme am Ufer des Vembanad Lakes verführen. Kuhreiher staksen über die Wasserhyazinthen am Ufer des Sees. Fünf Brahmanenmilane kreisen am Himmel. Ein kleiner Bengalenwaran lauert gut getarnt im Gras auf Beute. Ein Paddyreiher sitzt geduldig am Ufer eines Kanals. Schildkröten paddeln an ihm vorbei.

Ein Mitarbeiter der Küche reicht ein Glas mit Milchtee und frittiertes Gemüse. Die üblichen Fragen und Antworten. Sein Bruder arbeite in Dänemark, sagt er und zeigt mir ein Bild seiner zweiten Tochter. Noch ein Milchtee. Die Hotelanlage atmet nach dem Lärm der letzten Tage tief durch. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nehmen sich Zeit für ein Schwätzchen.

Indischer Riesenflughund
Indischer Riesenflughund

Vom Seeufer aus beobachte ich den Sonnenuntergang. Mehr und mehr Tiere machen es mir gleich. Inzwischen zähle ich 20 Milane am Himmel. Ein indischer Riesenflughund verlässt seine Schlafstätte im Baum. Ein beeindruckendes Tier. Paradiesvögel zeichnen skurrile Formen in den Himmel. Fledermäuse erinnern mich an zuhause. Es ist Zeit zum Betrachten.