Von Kerala nach Goa

Heute quäle ich mich um 6:15 Uhr aus dem Bett. Nebel verhüllt den Vembanad Lake. Die Luft saugt sich mit seinem Wasser voll. Um 7:30 Uhr kann ich vom Frühstücksraum bereits wieder das gegenüberliegende Ufer sehen. Es ist warm. Koffer und Rucksack sind gepackt und werden vom Hotelpersonal in das Taxi verladen, das pünktlich um 8:00 Uhr auf mich wartet.

Devaraj, der Restaurantchef, mit dem ich gestern Nachmittag bereits im Gespräch war, bittet um meine Kontaktdaten. Er will im nächsten Jahr Deutschland besuchen. Sein Bruder arbeitet in Dänemark. Auf dem Weg zur Rezeption will er wissen, was er in seinem Beruf in Deutschland verdienen könnte.

Noch einmal geht die Fahrt durch Reisfelder und die weitläufige Stadt Kochi. Wieder fallen mir die vielen katholischen Kirchen auf. Nach zwei Stunden erreichen wir den Flughafen. Mit einem Airbus A320 bringt mich IndiGo nach Chennai.

Meine Sitznachbarin will wissen, woher ich komme und wohin ich will. Aswathy ist so alt wie meine jüngste Tochter und studierte Physikerin. Sie ist auf dem Weg zu einem Projektmeeting ihres dänischen Kunden, einem Unternehmen der Wärme- und Kältetechnik mit ca. 40.000 Angestellten. Wieder Dänemark. Auf das heikle Thema „Ehe“ angesprochen, erzählt mir Aswathy, dass Familien in Kerala die arrangierte Ehe bevorzugen. Ihre Eltern hätten aber aus Liebe geheiratet, und die Ehe hat immerhin schon 30 Jahre gehalten. Sie selber hätte ihre eigenen Pläne, gesteht sie und lacht. Wenn ich wieder in Kerala sei, solle ich sie besuchen. Wir tauschen Adressen aus.

Auf den Ärmeln der Flugbegleiterinnen prangen Buttons mit der Aufschrift „Girls Power“.

In Chennai warte ich vier Stunden auf meinen Anschlussflug nach Goa. Ich lausche einem Hörbuch und beobachte die Menschen. Mir fallen einige Westler auf. Gestreifte lila Hemden. Dazu Pluderhosen. Dresscode europäischer Sinnsuchender, wie ich ihn von meinen zahlreichen Reisen nach Boudhanath in Nepal kenne. Unter ihnen ein Mittfünfziger mit interessanter Frisur. Die Haare mit einem Gummiband zusammengebunden. Nasenpiercing. Er reist mit einer Inderin und zwei Kindern. Am Gepäckband in Goa höre ich, wie die ältere Tochter ihn in akzentfreiem Deutsch mit „Papa“ anspricht.

Danach geht alles ganz schnell. Mein Koffer ist einer der ersten auf dem Gepäckband. Am Ausgang sehe ich bereits ein Schild mit meinem Namen. Ein Wink. Der Weg zum Hotelauto ist kurz. Die Fahrt zum Hotel ebenfalls. Auf der Armatur klebt der hl. Antonius mit einem Kind auf dem Arm. Am Rückspiegel ein Rosenkranz. Es ist schon dunkel. Auf den ersten Blick sieht es hier sehr europäisch aus. Ich fühle mich, als wäre ich wieder auf Malta. Mal sehen, wie es morgen aussieht.

Der Blick vom Balkon meines Hotelzimmers ist wie im Bilderbuch. Schnell ein Foto vom Strand, eines vom Hotelzimmer, Grüße an meine Familie und Dank an Shweta, Swaroop und Mittal, ohne denen diese Reise niemals so zustande gekommen wäre. Danach ein Blick auf den Kompass: Westen. Was will ich mehr?