Handels-, Kirchen- und Kolonialgeschichte

Um 1500 pflanzten Portugiesen erstmals die ursprünglich aus Brasilien stammenden Regenbäume (Raintrees) in Kochi. Einige dieser teilweise 100 Jahre alten Bäume säumen die Tower Street im Fort Kochi, wo mein Hotel, das Koder House, liegt. Von meinem Zimmer aus schaue ich auf zwei von ihnen.

Im dahinter liegenden Jawahar Park fallen mir wieder junge Leute auf, die in Sketchbüchern zeichnen. Bevor ich meinem Guide, Rajesh, auf eine rasante Tour durch Cochis Geschichte folge, spreche ich drei von ihnen an. Sie seien Architekturstudenten und hätten die Aufgabe, verschiedene Szenen zu zeichnen. Gebäude, Stimmungen. Gerne zeigen Sie mir ihre Zeichnungen und lassen sich fotografieren. Im nächsten Moment bin ich umgeben von weiteren Kursteilnehmern. Ihre berufliche Zukunft sähe gut aus. Darin sind sich alle einig. „Wir können als Architektinnen arbeiten oder als Designerinnen.“ Indien ist ein aufstrebendes Land, das kreative Menschen braucht. Aber auch im Ausland seien indische Architekten und Designer gefragt.

Architekturstudentinnen beim Zeichnen
Architekturstudentinnen beim Zeichnen

Nun muss ich Rajesh folgen. Sein Programm sieht keine Ruheminute vor.

Wir eilen zur St. Francis Church, der ältesten europäischen Kirche in Indien. Eine muslimische Familie lässt sich im Vorgarten der Kirche fotografieren. Die Harmonie der verschiedenen Weltanschauungen und das gegenseitige lebendige Interesse faszinieren mich. Ich ziehe meine Sandalen aus, um die einst von Briten verlegten wertvollen Bodenfliesen in den Gängen zu schützen. Rajesh bedeutet mir, in einer der Holzbänke Platz zu nehmen.

Eine muslimische Familie vor einer anglikanischen Kirche

Dann beginnt eine rasante Reise mit Geschichten aus über 4.500 Jahren.

Zuvor noch eines: auf älteren Karten sucht man vergeblich nach Kerala. Anstelle des indischen Bundesstaates findet man drei Königreiche: Malabar in Norden, in der Mitte Cochin und im Süden Travancore. Am 1. November 1956 wurden die drei Königreiche zum 28. indischen Bundesstaat Kerala, was zu Deutsch so viel heißt wie „Land der Kokospalmen“. Die gemeinsame Sprache Mayalayam war das Bindeglied. Heute ist also Keralas 66. Geburtstag. Happy Birthday!

Seit 2.500 v. Chr. ist reger Handel zwischen der hiesigen Bevölkerung und arabischen Händlern bezeugt. Neben schwarzem Pfeffer, Kardamom, Zimt und Ingwer wurden Teak, Elfenbein, Sandelholz und Pfaue exportiert. Schwarzen Pfeffer nannten sie „König der Gewürze“ und „Schwarzes Gold“, denn ihn wogen sie mit Gold auf.

Den Arabern folgten Händler aus Persien, Babylonien, Assyrien, Mesopotamien, Griechenland und China. Jüdische Händler trieben seit 1.000 v. Chr. Handel mit Kerala.

Die wertvolle Ware wurde zumeist an der Malabar-Küste im Hafen Muziris auf Schiffe verladen und auf dem zur Seidenstraße zählenden Seeweg über die Drehscheibe Konstantinopel bis nach West-Europa gebracht.

1341 rollte über den Fluss Periyar eine verheerende Flut auf Muziris zu und zerstörte den Hafen. Ein Wiederaufbau war nicht möglich, weshalb der Export fortan über den bis dahin wesentlich kleineren Hafen Kochis lief.

1453 zerstörten die Osmanen Konstantinopel und unterbanden den Handel mit West-Europa. Daraufhin suchten die West-Europäer verzweifelt nach einer alternativen Route zu den sagenumwobenen Gewürzinseln. Christoph Columbus irrte sich ein wenig in der Himmelsrichtung, und so machte 1498 der Portugiese Vasco da‘Gama das Rennen.

Sein Schiff ging am 20. Mai 1498 vor der Küste von Malabar vor Anker. Vasco da‘Gama traute sich selbst nicht an Land und schickte einen seiner Sklaven voraus. Er sollte den König von Malabar aufsuchen und ihm den Gewürzhandel vorschlagen. Der Sklave war wahrscheinlich diplomatisch nicht gebildet. Zumindest reagierte der König von Malabar entsetzt auf Vasco da‘Gamas Ansinnen, den von arabischen Händlern dominierten Gewürzhandel an sich zu reißen, und riet ihm, sich aus dem Staub zu machen.

Dieser setzte die Segel, fuhr die rund 600 km lange Küste weiter Richtung Süden und ging vor Cochi vor Anker. Der dortige König sah die mit modernen Schusswaffen gerüsteten Portugiesen und seine Chance, mit ihrer Hilfe seinen Widersacher im Norden in Schach zu halten. Der König von Cochin und Vasco da‘Gama wurden sich schnell handelseinig.

Es sollten noch fünf Jahre vergehen, bis 1503 portugiesische Schiffe mit römisch-katholischen Missionaren und Soldaten die Königreiche des heutigen Kerala zur Kolonie machten. Eine ihrer ersten Aufgaben war der Bau von 12 römisch-katholischen Kirchen. In einer von ihnen sitze ich heute Morgen mit meinem Guide und schaue auf die Grabplatte von Vaso da‘Gama. Seine sterblichen Überreste wurden zwischenzeitlich nach Lissabon überführt.

Die Portugiesen konnten sich immerhin 100 Jahre in Kerala halten, bis 1603 Holländer einen Pakt mit dem König von Malaba schlossen und die römisch-katholischen Kirchen der Portugiesen zu protestantische Gotteshäuser umfunktionierten.

Der König von Malaba erwies sich gegenüber den Holländern als eher unverbindlich und schloss 1615 weitere Handelsverträge mit Briten, was schließlich in deren Herrschaft auch über Kerala mündete. So wurden die soeben noch protestantischen Gotteshäuser anglikanisch und anglo-indische Christen der anglikanischen Kirche zugeordnet.

Anglo-indisch waren jene Kinder, die aus Ehen portugiesischer Soldaten mit einheimischen Frauen hervorgingen. Portugiesische Soldaten durften nämlich ihre Ehefrauen nicht mit nach Indien bringen und sollten mit einheimischen Frauen den Bund der Ehe eingehen. Heute leben noch rund 200 anglikanische Familien in Kochi.

Die Geschichte macht die St. Fancis Church in Kochi interessant und das unselige Bündnis von Religion, Politik und Wirtschaft offensichtlich.

Über Seile angetriebene Luftfächer sorgen für frischen Wind in der Kirche
Über Seile angetriebene Luftfächer sorgen für frischen Wind in der Kirche

Gottesdienstbesucher verdanken den Briten die Luftfächer über den Sitzreihen. Während sich die Gemeinde mit Gott und den guten Geistern beschäftigte, zogen draußen in der prallen Sonne „Bedienstete“ an langen Seilen und setzten die Fächer in Bewegung. Heute, so versichert mir Rajesh, werden die Luftfächer von Motoren angetrieben.