Willkommen im Dschungel

Gestern Abend spazierte ich noch ein wenig durch Fort Kochi. Der Ort ist mir binnen kürzester Zeit ans Herz gewachsen. Die chinesischen Fischernetze. Die Fischer und Fischstände. Die vielen jungen Menschen aus allen Teilen Indiens. Die demonstrierenden Schülerinnen. Die Damen in der Kooperative. Die Philosophieprofessorin. Mr. Koder, natürlich. Und Szenen wie diese mit dem Mann auf der Bank.

Take it easy
Take it easy

Werde ich jemals so gelassen auf einer Bank sitzen können und den Abend genießen?

Ich frühstücke, putze die Zähne, packe meine Sachen und verlasse ein letztes Mal mein Zimmer im Koder House. Unten warten schon Sabu und Mr. Koder. Beide nehmen mir Koffer und Rucksack ab und verstauen sie im Suzuki. Es ist 9:40 Uhr. Die Fahrt nach Munnar soll ca. viereinhalb Stunden dauern.

Unterwegs erkundigt sich Sabu nach meinem Beruf. „Rentner.“ „Aber was wollen Sie machen?“ Gute Frage. Schreiben und Fotografieren lässt Sabu nicht gelten. Er empfiehlt mir dringend, ein Reisebüro für Reisen nach Kerala aufzumachen. Das sei ganz einfach. Und Touristen werden dringend gebraucht. Auf die Diskussion lasse ich mich nicht weiter ein. Ich schweige und schaue aus dem Autofenster, während Sabu uns gelassen und zuversichtlich durch ein Gewühl von Bussen, LKWs, PKWs, Motorrollern, Fahrradfahrern und Fußgängern steuert. Wieder unzählige christliche Kirchen. Unvorstellbar, wie sie das Straßenbild in Kochi dominieren. Irgendwann lassen wir Kochi hinter uns.

Sabu
Sabu

Es wird grüner. Ziemlich grün. Sabu erklärt ununterbrochen im tiefsten Indisch-Englisch die Schönheiten und Besonderheiten der Natur und der Landwirtschaft. „Do you know latex?“ Natürlich kenne ich Latex, aber die Bilder, die bei diesem Begriff vor meinen Augen entstehen, passen nicht in die Landschaft. Irgendwann verstehe ich, dass es um die Gewinnung einer milchigen Flüssigkeit aus Gummibäumen geht. Wir halten an und schauen auf eine Latex-Plantage.

Latexgewinnung
Latexgewinnung

Sabu erklärt mir, dass die Latex-Milch zusammen mit einer Chemikalie auf einer Form ausgebracht wird. Binnen kürzester Zeit entsteht so ein schwammiges, rechteckiges, weißes Gebilde, das mithilfe einer Presse vom Wasser befreit wird. Die so entstehenden Gummitücher werden zum Trocknen in die Sonne gehängt. Mit abnehmender Feuchtigkeit wandelt sich deren Farbe von Weiß über Hellbraun zu Schwarz. Die getrockneten Gummitücher werden dann auf dem Großmarkt verkauft.

Latex-Tücher trocknen in der Sonne
Latex-Tücher trocknen in der Sonne

Bananen, Ananas, Reis, Kokusnüsse, Kaffee, Kakao, Papaya, Mango. So oder so ähnlich stellte ich mir einmal das Paradies vor. Hier fühle ich mich wie im Paradies.

Inmitten von Plantagen stehen prächtige Villen, wie ich sie bislang ausschließlich aus Bollywood-Filmen kannte. Das Geschäft mit edlen Früchten der Natur ist offensichtlich inzwischen auch für einige Inder einträglich.

Ein schon eher bescheidenes Anwesen im exotischen Früchtegarten
Ein schon eher bescheidenes Anwesen im exotischen Früchtegarten

Sabu entdeckt eine kleine Kaffeeplantage und unterbricht spontan die Fahrt an einem Restaurant. Mit dem Inhaber scheint er zu verhandeln und verlässt das Etablissement nach kurzem Hin und Her. „Sie haben nur Nescafé.“ Wir fahren weiter und halten 500 m weiter an einem eher armselig anmutenden Stand. Sabu schreit irgendetwas zum Verkäufer auf der anderen Straßenseite. Der schüttelt mit dem Kopf, was „Ja, ich habe Kaffee“ bedeutet. Ich vergesse sämtliche Hygieneregeln für Westeuropäer in Südostasien und trinke mit Genuss einen leckeren Kaffee.

Kaffeestaude
Kaffeestaude

Gleich nebenan wachsen Kaffeestauden, Kakao und Papaya.

Kakaoschoten
Kakaoschoten
Papaya
Papaya

Unterwegs kommen wir immer wieder an Tapioka-Ständen vorbei. Frauen verkaufen Maniok-Wurzeln und Stämme der Maniok-Pflanze. Sabu zeigt bei einem kurzen Halt auf Maniok-Stämme, die einfach in die Erde gesteckt sofort wieder ausschlagen und neue Knollen bilden.

Tapioka-Stand mit Maniok-Wurzeln und -Stämmen
Tapioka-Stand mit Maniok-Wurzeln und -Stämmen

Sabu parkt sein Auto in der Nähe eines Alkoholgeschäftes. Er empfiehlt, ich solle mir eine Flasche Wein kaufen. Im Hotel sei es viel teurer. Als ich ihn frage, welchen Wein er möge, zeigt er auf eine Flasche Brandy. Na gut, denke ich mir, die nächsten drei Tage hat er frei. Also zahle ich seinen Brandy.

Irgendwann am Nachmittag erreichen wir das Hotel. Sabu verabschiedet sich von mir. Ich checke ein, erhalte zur Begrüßung einen gut gewürzten Tee und die Aussicht auf eine Führung durch die Kardamomplantagen des Hotels. Dann führt mich ein Mitarbeiter zu meinem Haus mit Blick in die Wildnis. Vögel singen. Ich halte Ausschau nach Affen und Schlangen.

Mein Haus in Munnar für drei Nächte
Mein Haus in Munnar für drei Nächte

Die Rezeption erkundigt sich nach meinem Wunsch für das Abendessen. Wir hatten unterwegs bereits gegessen. Ich lehne dankend ab.

Seit meiner Ankunft im Hotel regnet es in Strömen. Morgen soll das Wetter besser sein, sichert mir der Rezeptionist zu. Abstellen könne er den Regen leider nicht.

Na dann, gute Nacht.